5.3 Femme fatale

Kapitelübersicht:


  • Das Frauenbild im Film Noir

Das Frauenbild im film noir ist oft aufgespalten in eine gute (zuverlässige, ehrliche, loyale, gehorsame) Frau, die vertrauenswürdig scheint, und in eine böse (sexuell attraktive, oft selbstbewusst auftretende, schlagfertige) Frau, die nicht vertrauenswürdig zu sein scheint, die aber gerade darum so faszinierend wirkt.
Das repräsentiert eine historische Dichotomie: die Aufspaltung der Frau in Heilige/Hure, in Ehefrau und potentielle Mutter der Kinder sowie in Geliebte, die sexuell aufgeschlossen und erfahren ist, aber nicht rücksichtsvoll und aufopferungsvoll genug ist, um jemals Kinder großzuziehen.
Aus diesem zweiten Bild entstand im film noir der Typ der femme fatale, der einerseits die (Schau)Lust des Mannes stimuliert, andererseits aber genau die film noir typische Misogynie provoziert.

Die allgemein gängige Definition für femme fatale lautet in etwa:
“Die femme fatale ist ein besonders attraktiver und verführerischer Frauentypus, der – mit magisch-dämonischen Zügen ausgestattet – Männer erotisch an sich bindet, sie aber auch manipuliert, ihre Moral untergräbt und sie meist auch auf „fatale“ Weise ins Unglück stürzt. Gleichzeitig verspricht sie dem verführten Mann ein Höchstmaß an Liebeserfüllung, was ihr oft einen äußerst ambivalenten Charakter verleiht.” (de.Wikipedia.org)


Misoygnie (Frauenhass)
Tatsächlich wird in vielen von Männern getätigten Aussagen mit Verachtung (vgl. “Gilda”, 1946, die Konversation über Frauen: “a woman – it looks like on thing, and in front of your eyes it becomes another thing”, Szenenausschnitt ab Min. 11:00) bis hin zu ausdrücklicher Feindlichkeit über (sämtliche, nicht nur die fatalen) Frauen gesprochen: Frauen wären Insekten („Gilda“, 1946), oder Männer würden es mögen, wenn sie Frauen zum Weinen brächten („The Spiral Staircase“, 1945).

Regisseur Edward Dmytryk sagte in einem Interview, dass die Darstellung von Frauen als stark und böse als ein unbewusstes „Niederbrechen des viktorianischen Frauenbildes“ (PORFIRIO 2001, 33) sei, wofür Hemingway und Hammett verantwortlich wären.
Sie hätten die Frauen von dem ungeschriebenen Podest heruntergeholt, indem sie sie als intelligent, aber falsch und hinterlistig dargestellt hätten. Dmytryk kritisiert aber auch die Einseitigkeit in dieser Darstellung.

Eine historische Erklärung?
Ein in der Literatur oft genannter Grund für die in vielen Filmen ausdrückliche Misogynie ist die Tatsache, dass Frauen während der Kriegsjahre arbeiteten, Geld verdienten und erst mit der Rückkehr der aus dem Krieg kommenden Männer zurück in die Rolle als arbeits- und einkommenslose Hausfrau und Mutter gedrängt wurden.
Diese durch Kontrollverlust ausgelöste Identitätskrise bei vielen Männern inspirierte die misogyne Darstellung von Frauen im film noir, obwohl eine Menge der film noir Drehbücher von Frauen geschrieben, mitgeschrieben oder adaptiert wurden oder von Romanen abgeleitet wurden, die von Frauen verfasst wurden, so z.B. „Desperate“ (1947), „Railroaded“, (1947) und „Raw Deal“ (1948) (COWIE 1993, 136).


  • Die Konstruktion der femme fatale

Die Rezeption der femme fatale ist sehr unterschiedlich; abhängig von Geschlecht des Rezipienten und Zeitpunkt der Rezeption.
So bezeichnen die Filmkritiker Borde und Chaumeton im Jahr 1955 die femme fatale als „probably frigid“ (BORDE & CHAUMETON 1955, 62), während Julie Grossmann 2009 (über fünfzig Jahre später) feststellt, dass viele weibliche Charaktere der ursprünglichen Produktionsperiode durch die gesellschaftlichen Zwänge eingeschränkt oder sogar in diesen gefangen sind (GROSSMANN 2009, 21).
Der Film „Bound“ (1996) schlägt vor, in der femme fatale eine lesbische Frau zu sehen, die mit einem Mann schläft und zusammenlebt, so wie andere einen Job haben, und sich dafür mit teurer Kleidung, Schmuck und luxuriösem Lebensstil bezahlen lässt.

Das fatale Begehren der Männer
Tatsächlich muss man jedoch die Bezeichnung femme fatale differenzieren; denn nicht jede Frau, die aufreizend gekleidet ist oder von einem Mann als begehrenswert behandelt wird, ist eine femme fatale.
Wie Grossmann treffend feststellt, ist „fatal“ vielmehr eine Eigenschaft, die von den männlichen Charakteren produziert wird, indem sie körperliche oder verbale Gesten, mit denen solche Frauen ihre Unabhängigkeit ausdrücken oder auf dieser bestehen, als „fatal“ missverstehen: Auf diese Weise werden Frauen zur Projektion von Begehren oder Angst der Männer (GROSSMANN 2009, 33).
Männer reagieren auf das durch solche Frauen verursachte sexuelle Begehren im film noir häufig mit dem Bedürfnis, das Objekt ihres Begehren zu kontrollieren und zu bestrafen (COWIE 1993, 125) (vgl. „Gilda“, 1946), damit sind es aber nicht die Frauen, die fatal sind, sondern genau genommen die Männer, deren eigenes Begehren fatal ist.

Die ambivalente, nicht nachvollziehbare femme fatale?
Die femme fatale ist auch nicht immer die unverständlich agierende Frau: Im Gegenteil, viele Frauen, die selbstbewusst und/oder körperlich anziehend im film noir inszeniert sind, sind in ihren Handlungen sehr gut nachvollziehbar:
Sie wollen z.B. häufig ihrem um vieles älteren, herrschsüchtigen Ehemann entkommen, der sie zu einem Leben in ständiger Kontrolle und zu Gratisarbeit für ihn verdammen will (vgl. Lana Turner in „The Postman Always Rings Twice”, 1946“,“Gilda”, 1946, ab Min. 2:00, aber auch Barbara Stanwyck in „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946).
Nur wenige entziehen sich dem Verständnis oder scheinen über die Maßen von eigenen Vorstellungen über die Welt oder bestimmten Motivationen überzeugt zu sein, so dass sie die Realität nicht mehr erkennen können und tatsächlich obsessiv, unverständlich und “verrückt” handeln (z.B. Gene Tierney in „Leave Her To Heaven“, 1945, Jean Simmons in „Angel Face“, 1952).

Die femme fatale = die Frau, die sich befreien will
Hinter der Inszenierung der Frauen im film noir liegt eine Doppelmoral:
Die (überwiegend männlichen) Filmemacher inszenieren Frauen, die versuchen, sich aus einer für sie untragbaren Situation zu befreien als täuschende, hinterlistige Figuren, als femmes fatales, die am Filmende meist nicht ihr Ziel erreichen, sondern fast immer sterben oder hinter Gitter kommen.
Die Frauen hingegen, die im film noir als “gute Frauen” dargestellt werden, die freundlich, nett und heiratswürdig sind, sind bei genauem Hinsehen bemitleidenswerte, arme, schwache Frauen:
Es sind solche, die Valium brauchen, um ihren Alltag zu ertragen (vgl. „Whirlpool“, 1949), oder solche, die einen offensichtlich gestörten Mann trotzdem heiraten, sich von ihm quälen, demütigen und beinahe umbringen lassen, um ihn so „zu retten“, in der Hoffnung, dass er irgendwann ebenso gut und nett zu ihnen ist (vgl. „Spellbound“, 1945, „Secret Beyond The Door“, 1947).

nächstes Kapitel: REFLEXION: Sexualität

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