2.1 Plotmuster *

Kapitelübersicht:

a) Einteilung nach Handlungen
b) Einteilung nach psychologischem Antrieb der Figuren


Aus den noir-typischen Themen zwischen den Polen “Tod” und “Erotik” ergeben sich Filme mit überwiegend folgenden Plotmustern:

a) Einteilung nach Handlungen:

  • Das Rätsel
    Der Rätsel-Plot umfasst die klassischen Detektivgeschichten. Es geht um ein Rätsel (ein Verbrechen, ein Mord), das im Laufe der Handlung von einem Detektiv oder einer so handelnden Figur aufgedeckt werden muss. Die Handlung eines solchen Plots ist determiniert; der Anfang daher oft das Verbrechen, das Ende immer die Auflösung, folgerichtig ist der Plot die Suche und das Finden von richtigen und falschen Hinweisen und die darauf aufbauenden Erkenntnisse. Die Spannung entsteht auch aus der Frage, ob ZuseherIn oder Detektiv das Rätsel zuerst lösen (z.B. „The Maltese Falcon“, 1941, „Spellbound“, 1945) (vgl. TOBIAS 1993, 133ff).
  • Die Selbstopferung
    Hier geht es um eine Figur, die aufgrund der Umstände eine tiefgreifende, moralische Entscheidung – gegen sich selbst – fällen muss. Die Figur selbst steigt dabei als Verlierer aus. Dennoch entscheidet sie sich nach innerem Kampf moralisch richtig und opfert sich selbst (d.h. seine Zukunft, sein Leben). (z.B. „Where The Sidewalk Ends“, 1950, „Kiss Of Death“, 1947) (ebda., 220ff).
  • Der Coup (Planen und Scheitern)
    In solchen Filmen geht es darum, einen Coup, d.h. ein Verbrechen, zu planen und auszuführen, egal, ob ein Mann und eine Frau ihren Ehemann ermorden (z.B. „The Postman Always Rings Twice“, 1946) oder ein Überfall geplant und ausgeführt wird (z.B. „The Asphalt Jungle“, 1950).
  • Aufstieg und Fall
    Aufstieg und Fall einer Person werden gezeigt; ob als Magier in einem Zirkus wie in „Nightmare Alley“ (1947), ob als Boxkampfveranstalter und Nachtclubbesitzer (z.B. „Night And The City“, 1950), oder ob als Frau und Mutter wie in „Mildred Pierce“ (1945). Das Vorbild dazu war „Citizen Kane“ (1941)
  • Flucht
    Manche Filme widmen dem Planen von Verbrechen weniger Zeit und setzen ihren Schwerpunkt auf die Flucht danach, dabei spielen Verfolgungen, Verstecken und der Schlusskampf zwischen Protagonist und Antagonist eine wesentliche Rolle (z.B. „Pursued“, 1947, „Gun Crazy“ 1950, „Dark City“, 1950)
  • Liebe und Begehren (in Dreiecksgeschichten)
    Von Liebe ist in einem film noir auch, aber nicht nur die Rede, oft prägt eine triebhafte Begierde die Figuren, die es zu befriedigen gilt, egal, welcher Preis dafür zu zahlen ist.

Dreiecksgeschichten treten dabei in unterschiedlichen Konstellationen auf:

1) Ein Mann und eine Frau lieben einander, doch dieses Einverständnis wird durch einen weiteren Mann gestört, der den Protagonisten für sich beansprucht; solche Plots beinhalten eine mehr als unterschwellige Homosexualität (z.B. in „Moon Tide“, 1942, „Desert Fury“, 1947)

2) Zwei (oder drei) Männer begehren eine Frau, um diese Frau zu bekommen, sind sie bereit zu töten, oder töten („Gilda“, 1946, „The Postman Always Rings Twice“, 1946, „Laura“, 1944)

3) Ein Mann ist zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen: zwischen der Frau, die ihn fasziniert (und körperlich anzieht) und der Frau, die ihn liebt, also gut für ihn ist:

  • „The Big Clock“ (1948): die brave Ehefrau und die mysteriöse Selbstbewusste, die ermordet wird,
  • „Vertigo“ (1958): die gute Freundin und die mysteriöse Schöne,
  • „The Strange Love Of Martha Ivers“ (1946): die selbstbewusste, eigenständige Jugendliebe, die sich als Mörderin herausstellt, und die – vergleichsweise – brave Frau, die ihn liebt,
  • „Fallen Angel“ (1945): die mysteriöse, laszive Frau mit den Männerbekanntschaften und die brave, ordentliche Frau, die in der Kirche mitarbeitet.


b) Einteilung nach psychologischem Antrieb der Figuren:
Analysiert man die Filme im Hinblick auf den Zustand der Identität der jeweiligen Prota- und Antagonisten, kann man eine grundsätzliche Tendenz feststellen: Jede Figur strebt danach, ihre Identität zu stabilisieren (s. Grafik S.29).

Dementsprechend gibt es eine Bandbreite von stabilen bis instabilen Identitäten, die man in folgende Stadien einteilen könnte:

  • außerhalb der Norm
    Eine außerhalb der Norm stehende Figur hat Teile ihrer Identität abgespalten oder verdrängt. Die Figur handelt psychopathisch (emotional labil, dennoch manipulierend und gefährlich, z.B. „The Dark Mirror“, 1946) oder soziopathisch (gewissenlos, die Figur kennt keinen Unterschied mehr zwischen Gut und Böse, z.B. „The Spiral Staircase“, 1945).
    Die Figur weiß allerdings immer, was sie tut – selbst wenn sie mordet, und sie will sich nicht helfen lassen.
  • Instabile Identität
    Eine Figur in diesem Stadium hat ebenfalls Teile ihrer Identität aufgrund eines Traumas abgespalten oder verdrängt; sie weiß phasenweise nicht mehr, was sie tut (z.B. „Whirlpool“, 1944). Eine solche Figur kann sich nicht selbst helfen und ist manchmal bereit, sich helfen zu lassen (z.B. „Spellbound“, 1946, „Cat People“, 1942).
  • Resignation und/oder Minderwertigkeitskomplex
    In lose/lose Situationen werden Figuren passiv, sie resignieren, betäuben sich mit Alkohol. Durch das Erscheinen des Antagonisten wird die Handlung ausgelöst und an die Spitze getrieben, bis die Figur keinen anderen Ausweg mehr als die Selbstopferung sieht (z.B. „Casablanca“, 1942, „Where The Sidewalk Ends“, 1950, „Kiss Of Death“, 1947).
  • Depression und Kampf um Verbesserung
    Figuren in diesem Stadium leiden und sie wollen diesem Leid entkommen bzw. ihre Identität stabilisieren durch folgende Bestrebungen:

1) Das Besitzenwollen eines Mannes (z.B. „Possessed“, 1947) oder einer Frau („Gilda“, 1946, „Laura“, 1944)

2) Das Rettenwollen eines Mannes (z.B. „Secret Beyond The Door“, 1948, „Fallen Angel“, 1945)

3) Das Streben nach Erfolg (oder Geld, Status, Macht) (z.B. „Dark City“, 1950, „Night And The City“, 1950)

4) Das Streben nach Befreiung – vom Ehemann (z.B. „The Postman Always Rings Twice“, 1946) oder von der Mutter (z.B. „Mildred Pierce“, 1945)

nächstes Kapitel: NARRATION: Figuren

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