4.3 Bildgestaltung

Kapitelübersicht

 

Das erste Ziel der visuellen Gestaltung im film noir ist – neben der Vermittlung der Handlung – die Illusion räumlicher Tiefe.
Dabei ist nicht nur die besprochene Licht- und Ausstattungsgestaltung eine wesentliche Hilfe, sondern auch die Unterteilung des Bildes in Vorder- und Hintergrund, in ausgefeilteren Einstellungen auch in Vorder-, Mittel- und Hintergrund.


  • Bildaufteilung

Meist ist ein Film-Noir-Bild so eingerichtet, dass die handelnden Figuren im Bildvordergrund stehen.
Manchmal gehen sie in den Bildhintergrund ab (v.a. wenn dort eine Tür ist), manchmal ist im Bildhintergrund schon etwas oder jemand zu sehen, der in Kürze einen bedeutsamen Auftritt haben wird, während im Bildvordergrund noch gesprochen wird.

Zwischen der Kamera und den Figuren ist oft kein Gegenstand auszumachen, wodurch die durch die beweglicheren Kameras verloren gegangene „Theaterhaftigkeit“ in manchen Einstellungen fast unmerklich wieder aufersteht: Es scheint, als wäre vor einer Figur oft alles weggeräumt, damit die Kamera den Weg frei hat.

In dichten eingerichteten Einstellungen wird das Bild in Vorder-, und Hintergrund, manchmal auch in Vorder-, Mittel- und Hintergrund unterteilt, wobei sich die Figuren dann meist im Mittelgrund befinden, während im Vordergrund Gegenstände, Menschen oder Pflanzen ins Bild ragen.
Diese sind nicht komplett im Bild, sondern nur zu einem Teil („angeschnitten“) und aufgrund der Funktionsweise einer Kamera unscharf (die Kamera kann nur auf eine Entfernung scharf stellen, meist auf die der Figuren).
Besonders die Unschärfe suggeriert den menschlichen Blick, der ebenfalls nur auf eine Entfernungsebene fokussieren kann. Dementsprechend ist auch der Hintergrund zumindest leicht unscharf.


  • Angeschnitten im Vordergrund

In Dialogszenen ist der unscharfe und angeschnittene Gegenstand im Vordergrund oft auch der Dialogpartner, eine Figur, die zuhört und später spricht (und dabei im Bild gezeigt wird; Schuss-Gegenschuss-Verfahren).
Diese Einstellung mit einer angeschnittenen, unscharfen Figur wird als Overshoulder bezeichnet (Abb. 54). Die Figur steht dabei mit dem Rücken zur Kamera, man sieht ihren Hinterkopf und im äußersten Fall ihre Wange oder ihr Ohr – mehr aber nicht, denn offenbar war es aus Continuity-Zwecken besser, das Gesicht der zuhörenden Filmfigur nicht zu zeigen:

Bildschirmfoto 2014-05-31 um 18.05.11

So ist man unabhängig im Schnitt und muss nicht darauf achten, dass der Gesichtsausdruck der Filmfigur (z.B. Lachen) in der Einstellung, die sie von hinten zeigt, mit dem in der Einstellung, die sie von vorne zeigt, übereinstimmt.


  • Hintergrundgestaltung

Der Hintergrund wird prinzipiell so gestaltet, dass das Filmbild eine Dreidimensionalität durch Licht und Dunkelheit erhält, die ein zweidimensionales Kinobild an sich nicht hat bzw. haben kann.

Häufig wird er darum heller als der Mittel- oder Vordergrund inszeniert (mittels einer kleinen, sichtbaren Lichtquelle wie Lampen, beleuchtete Fenster oder mittels einer weißen, das Licht reflektierenden Wand).
So entsteht auch zusätzliches Licht auf den Figuren, das sie von hinten beleuchtet und ihnen so eine typische Film-Noir-Lichtkontur („Spitze“) verleiht.

Der Bildhintergrund wird auch oft dazu genützt, dem Publikum Andeutungen oder Vorausdeutungen zu geben.
Bspw. in „Road House“ (1948) singt Ida Lupino als Barsängerin am Klavier, aber weil sie dem hinter ihr stehenden, breitschultrigen Mann vom Typus Holzfäller einmal zuviel zugezwinkert hat, blickt dieser sie von hinten begehrlich an (Abb. 55).
Schon durch das Bild wird klar, dass etwas passieren wird. Der Blick des Mannes hinter ihr gleicht einer tickenden Zeitbombe, während sie im Bildvordergrund ungerührt weitersingt.
Die Spannung, was passieren wird, baut sich auf und entlädt sich schließlich, als der Mann sie von hinten schnappt und über die Schulter geworfen wegtragen will, woraufhin eine Schlägerei beginnt:

Bildschirmfoto 2014-05-31 um 18.05.19

In besonders großen Einstellungen, wenn SchauspielerInnen sehr nahe bei der Kamera stehen, ist es aufgrund der Tiefenschärfe kaum möglich, etwas oder jemanden im Hintergrund noch erkennbar sein zu lassen.
Hier werden Lampen im Hintergrund eingesetzt, die durch die Tiefenschärfe zu Lichtreflexionen neben dem Gesicht einer Schauspielerin in Großaufnahme verschwimmen („Gilda“, 1946) – so wird dem Bild der Eindruck von „Hochglanz“ verliehen (Abb. 56, oben).


  • Projektion im Hintergrund

Manchmal ist es notwendig, den Hintergrund mittels einer Projektion von vorher aufgenommenem Material zu erstellen. Das geschieht dann, wenn es offenbar zu teuer oder umständlich wäre, sich mit den DarstellerInnen an einen bestimmten Ort zu begeben (z.B. auf ein Schiff) oder die Kameras außerhalb des Studios aufzubauen und in der wirklichen Welt zu drehen (z.B. im Auto). Im Studio sind die Variablen immer noch am besten zu beeinflussen (Licht, Ton, Wetter, Statisten).

Beispiele dafür finden sich viele; auf Platz eins der statistischen Häufigkeit rangieren im film noir Autofahrten, am liebsten in Cabrios (z.B. „Notorious“, 1946, „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946, „Casablanca“, 1942):

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Das tun die DarstellerInnen in einem Auto im Studio, das maschinell und im Stand bewegt wird, während hinter ihnen eine Projektion abläuft. Wichtig ist dabei, darauf zu achten, dass das Licht von scheinbar derselben Quelle kommt (Richtung, Stärke, Schatten).

Ebenso gibt es Einstellungen, in denen eine Figur einen Raum durch die Haustür verlässt (mit dem Rücken zur Kamera). Sobald sie diese öffnet, sieht man aufgrund des Standpunkts der Kamera hinaus – hier wird ebenfalls gerne mit der Projektion einer Stadtansicht gearbeitet (z.B. in „The Seventh Victim“, 1943, „Notorious“, 1946).

Ähnlich verhält es sich mit Einstellungen, die zwei Figuren auf einem Balkon mit Ausblick auf einen Strand (z.B. „Notorious“, 1946) oder auf eine Stadt zeigen; oder auch vor einem Flugfeld, wo im Hintergrund Flugzeuge abheben (z.B. „Casablanca“, 1942).
Während man damals noch im Studio vor einer Leinwand mit Projektion spielte, befinden sich die DarstellerInnen heute im Studio vor einer grünen Wand; der notwendige Hintergrund wird anderswo gefilmt, digital bearbeitet und eingefügt. Die Idee ist jedoch dieselbe.

nächstes Kapitel: ÄSTHETIK: Spiegel

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