4.10 Sound Design

Kapitelübersicht:

a) Sprache und Stimme
b) Geräusche
c) Sound Design:
Spannung
Bedrohung
Das Wahnsinnigwerden
Des Rätsels Lösung: Sich erinnern
Komik durch Sound Design


a) Sprache und Stimme

An der Sprache im film noir merkt man, dass der Ton damals noch nicht standardmäßig nachsynchronisiert wurde:
In totalen Einstellungen gibt es manchmal eine Sprung und die Stimmen sind leiser zu hören (die SchauspielerInnen waren offensichtlich weiter vom Mikrofon entfernt).
Während heute jede Szene nachsynchronisiert wird, war das damals nur üblich, wenn die Hauptdarstellerin einen Song zu singen hatte, aber eine andere Frau eine bessere Singstimme hatte (bspw. Rita Hayworth in „Gilda“, 1946).
Da damals beinahe alle Szenen im fast schalldichten Studio gedreht wurde, gab es offenbar genug Möglichkeiten, den O(riginal)-Ton bestmöglich aufzunehmen.

Über die Sprache werden in erster Linie handlungsrelevante Information gegeben, daher ist vor allem die Verständlichkeit wichtig.
Aber auch das Timbre einer Stimme ist hörbar wichtig, deswegen wurde vermutlich im Studio mit Großmembranmikrofonen gearbeitet, durch die die aufgenommenen Stimmen besonders voll und wohltönend klingen.
(Das Gegenteil sind Kleinmembranmikrofone (z.B. Richtrohr-Stereomikrofon), wie sie heute im Film verwendet werden.)

Eine besondere Bedeutung haben Schreie (von Frauen) – wenn sie zu nahe am Mikrofon sind, übersteuern sie es schnell, so dass es wahrnehmbar rauscht.
Diese  femininen (Auf)Schreie sind oft kurz, hoch und spitz, während Männerstimmen und die Stimmen von starken, fast maskulin wirkenden Frauen (z.B. Lauren Bacall, Barbara Stanwyck) stets sehr tief sind.
Ein dramaturgisch aufgeladener Schrei ist der, den die stumme Hauptfigur am Ende von „The Spiral Staircase“ (1945) bei Min. 1:15:50 los lässt: Er ist der hörbare Beweis, dass sie durch den Filmplot (Entkommen des Mörders, Töten desselben) ihre verloren geglaubte Stimme wieder gewinnt.
Es ist ein lauter, langer Schrei, der zuerst schrill klingt, dann in ein heftiges Schluchzen übergeht, das gleichzeitig als Kontrast zu der Ungerührtheit dient, mit der Ethel Barrymore auf ihren eigenen Sohn (den Mörder) schießt.


b) Geräusche

Geräusche werden entweder einmalig oder ständig eingesetzt, in letzterem Fall dienen sie der Herstellung einer Atmosphäre (z.B. Sausen des Windes).

Einmalig eingesetzte Geräusche betonen etwas, das in der Handlung passiert: Bspw. Donnerschläge, die die Hauptfiguren erschrecken lassen, oder Pistolenschüsse, mit denen eine Figur getötet wird.
Häufig werden solche Geräusche in der Postproduktion erst hinzugefügt. Typisch dafür sind auch die im Nachhinein eingesetzten Schlag- oder Ohrfeigengeräusche, die über die sichtlich geräuschlos gestellten Kämpfe der Filmfiguren gelegt werden.

Geräusche können auch dazu verwendet werden, eine Filmfigur und damit das Publikum zu erschrecken: bspw. wenn die Geräusche plötzlich ertönen und die Geräuschquelle außerhalb des Bildes ist (wie das Quietschen einer Autobremse), während die Filmfigur groß im Bild ist.
Erst eine Fahrt zurück zeigt die Figur, wie sie am Straßenrand steht und erschrocken auf ein vorbeifahrendes Auto sieht (z.B. in „The Seventh Victim“, 1943).

Geräusche werden aber auch dazu eingesetzt, zwei Bilder oder Szenen miteinander zu verbinden; bspw. indem ein Geräusch aus der folgenden Szene minimal vorgezogen wird (Kirchenglockenläuten in „I Confess“, 1953), mit dem Effekt, dass der Schnitt nicht mehr so hart wirkt und die Bilder wie aus einem Guss scheinen.


 c) Sound Design

Das Sound Design ist die zeitliche und räumliche Gestaltung von Ton und Stille im Film.
Soweit es zur Produktionszeit von film noir bereits existierte (im Nachspann scheint meist nur das „Sound Department“ auf), umfasste es die Synchronisation von Songs und das Hinzufügen bestimmter Geräusche (z.B. das Klatschen einer Ohrfeige, der dumpfe Faustschlag in den Magen, etc.).

Die Menge der Tonspuren ist hörbar bescheiden; die Stimmen sind stets gut zu hören, es gibt vereinzelt hinzugefügte Geräusche und im Falle von Regen oder Gewittern atmosphärische, lang anhaltende Geräusche. Dazu kommt noch die Ebene der Filmmusik.


  • Spannung

Das Sound Design kann auch in Kombination mit Bildern eine sehr starke Spannung generieren, so wie im Film „Gun Crazy“ (1950):
Hier versteckt sich das geflüchtete Bonnie-und-Clyde-Pärchen bei Nacht und Nebel auf einer kleinen Insel im Fluss vor den Polizisten, die sie jagen.
Das Publikum ist sozusagen so blind durch den Nebel wie die Hauptfiguren (man sieht Großaufnahmen ihrer Gesichter und Gegenschnitte auf den weißen wallenden Nebel) und erfährt nur durch die Tonebene, dass die Polizisten immer näher und näher kommen (rufende Stimmen, Wassergeräusche).
Das steigert nicht nur die Anspannung, sondern auch die Identifikation mit den zwei Gejagten effektiv.


  • Bedrohung

Am Anfang des Films „Mildred Pierce“ (1945) wartet Mildred am Polizeirevier auf ihre Einvernahme – es ist spät nachts, sie hat soeben ihren toten Ehemann gefunden, vielleicht auch ermordet, die Stimmung ist angespannt, denn sie weiß nicht, ob sie verdächtigt wird oder nicht.
Vereinzelt sagen sie oder die anderen anwesenden Figuren etwas (Freundin, geschiedener Mann, Polizist). Alle Stimmen hallen extrem, so als befände sie sich völlig alleine und verlassen in einer großen Halle.
Die Übermacht der Polizisten durch das Sound Design darzustellen wirkt jedoch etwas artifiziell.

Besser gelungen ist die akustische Umsetzung einer Bedrohung im Film „Kiss Me Deadly“ (1955) ab Min. 02:00, als die Box mit der Radioaktivität geöffnet wird: Dies geschieht zweimal und beide Male dringen nicht nur Licht und Nebel aus der Box, sondern auch Geräusche die wie das Ausatmen oder Seufzen des erwachenden Bösen klingen.
Die Existenz und Ausbreitung einer gefährlichen Größe wird somit hörbar und somit nachvollziehbar – obwohl das überhaupt nicht realistisch ist.


  • Das Wahnsinnigwerden

In anderen films noirs gibt es regelrechte Soundcollagen, die das subjektive Erleben einer Figur zusätzlich intensivieren: Gerne wird z.B. das Wahnsinnigwerden einer Figur über die Tonebene eingeleitet oder erklärt: z.B. im Film „Possessed“ (1947):
Zuerst nimmt die Protagonistin das Ticken der Uhr übertrieben stark wahr, dann das Tropfen des Regens. Diese Geräusche treiben sie wie Trommeln im Zimmer umher und machen den ausbrechenden Wahnsinn nachvollziehbar.
Im Film „The Dark Mirror“ (1946) wird die böse Zwillingsschwester Terry durch die Musik einer Spieluhr besonders gereizt.


  • Des Rätsels Lösung: Sich erinnern

Spannende Effekte gelingen im film noir im Sound Design durch das Nachhallenlassen von Stimmen, das recht beliebt ist:
Figuren erinnern sich oft an einen bedeutsamen Satz aus einer anderen Stelle des Films, was durch das Einfügen und Wiederholen dieses Satzes auf der Tonebene dargestellt wird.
Solche Sätze erhalten oft einen zusätzlichen Halleffekt, so als hallten sie in den Köpfen der Filmfiguren nach (z.B. in „Spellbound“ (1945), als Gregory Pecks Erinnerung an den Unfall seines Bruders wiederkehrt, oder als der Satz, mit dem der Mörder sich selbst verriet, in Ingrid Bergmanns Kopf nachhallt).


  • Komik durch Sound Design

Auch für Komik oder witzige Momente ist das Sound Design im film noir zuständig: Im Film „D.O.A.“ (1950), der sehr tragisch ist (ein Mann wird vergiftet und jagt selbst seinen Mörder, ehe er stirbt) wird der Protagonist am Anfang als sehr an Frauen interessierter Mann dargestellt:
Er registriert jede Frau, die an ihm vorbei geht, und aus dem Off kommt dabei jedes Mal eine Sirene (Min. 10:00). Diese erinnert von der kurzen Melodie her an das anzügliche Pfeifen von Männern, die Frauen auf der Straße nachpfeifen, wirkt aber auch wie eine Alarmsirene und überspitzt damit das Ausschauhalten des Protagonisten nach hübschen Frauen. So beginnt der Film recht lustig, ehe er sehr bald tragisch wird.

nächstes Kapitel: ÄSTHETIK: Musik

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