1.3 Einflüsse *

Kapitelübersicht:

Zeitgeschichtliche Kontextualisierung:

Filmgeschichtliche Kontextualisierung:



ZEITGESCHICHTLICHE KONTEXTUALISIERUNG

  • Wirtschaftliche, politische und soziale Situation in den USA

In die Prohibitionszeit (1920-33) fiel die Weltwirtschaftskrise (1929), auf diese folgten Depression und Kriegseintritt (1941). Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Abwurf zweier Atombomben auf Japan (1945) kehrten die Männer von der Front zurück und trafen auf (ihre) Frauen, die in der Zwischenzeit gearbeitet und eigenes Geld verdient hatten und damit eine Bedrohung für das männliche Selbstbewusstsein und Selbstbild darstellten (vgl. SCHRADER 1972, 54; OLIVER & TRIGO 2003, XIII; BELTON 1994, 198).
Die Desillusionierung durch den Krieg und die geänderten Geschlechter-Verhältnisse in der Heimat führten zu Kontrollverlust seitens der (weißen) Männer, zu Verunsicherung und Konflikten. Die Darstellung der fatalen Frau und des verzweifelten Mannes sowie die in manchen Filmen kaum verhohlene Misogynie haben ihre Wurzeln vermutlich in diesen sozialen Kontexten (vgl. auch GROSSMANN 2009, 30).

Nach Ende des Krieges und dem Tod des US-amerikanischen Präsidenten Franklin Roosevelt 1945 verbreitete sich auch die Angst vor sowjetischer bzw. kommunistischer Aggression, was zu einem paranoiden Klima führte (vgl. SERVER 2009,12).
Im April 1948 wurden die sogenannten „Hollywood Ten“, zehn als „Kommunisten“ verdächtigte Filmemacher (sechs davon Juden), die aus Europa emigriert und in Hollywood gearbeitet hatten, vom Gericht zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und zwölf Monaten verurteilt (namentlich die Drehbuchautoren Alvah Bessie, Lester Cole, John Howard Lawson, Albert Maltz, Ring Lardner Jr., Samuel Ornitz und Dalton Trumbo, die Regisseure Herbert Biberman und Edward Dmytryk sowie Produzent Adrian Scott).
In der Folge wurden viele MitarbeiterInnen aus der Filmbranche vor das HUAC (House of Representatives‘ Committee on Un-American Activities) geladen, die in Verdacht standen oder gebracht wurden, Sympathisanten oder Unterstützer des Kommunismus oder sogar kommunistische Parteimitglieder zu sein.
Sie hatten die Möglichkeit, entweder die Aussage zu verweigern (so wie die Hollywood Ten unter Berufung auf das First Amendment und damit ihre Karriere zu beenden) oder gegen ihre Kollegen auszusagen.
Mitglieder der Association of Motion Picture Producers vereinbarten im sog. „Waldorf Statement“, verdächtigte oder verurteilte Filmemacher nicht mehr zu beschäftigten. Jene, die die Aussage verweigerten, verloren ihre Arbeitsplätze und gingen zurück nach Europa (z.B. Jules Dassin, vgl. SERVER 2009, 12) oder arbeiteten unter falschem Namen weiter (z.B. Drehbuchautor Dalton Trumbo, der als „Robert Rich“ 1956 einen Oscar für „Best Original Story“ gewann).
Unter Senator Joseph McCarthy eskalierte die Jagd nach vermeintlichen Kommunisten; er beschuldigte – oft ohne entsprechende Beweise – viele des Kommunismus; so auch Präsident Truman, das U.S. State Department und andere Regierungsorganisationen.
Erst 1954 wurden McCarthy seine politischen Ämter – und damit seine Macht – entzogen. McCarthy starb 1957; das HUAC setzte seine Untersuchungen von Un-Amerikanischen Aktivitäten jedoch fort (wenn auch mit nachlassendem Einfluss) und wurde erst 1975 aufgelöst.


  • Die „hard-boiled“ Literatur

In den 1930er Jahren veröffentlichten Autoren wie Ernest Hemingway, Dashiell Hammett, Raymond Chandler, James M. Cain, Horace McCo, Cornell Woolrich und John O‘Hara Geschichten, die einen „toughen“, zynischen Ton hatten. Die Sätze waren kurz, die Sprache einfach und unkompliziert.

Zu den Protagonisten gehörten Narzissten und Alkoholiker; die Detektivfiguren entsprachen nicht mehr dem intellektuellen, wissenschaftlichen Typ, der des Rätsels Lösung durch genaue Beobachtung und deduktive Logik fand, sondern die Detektive zeichneten sich nun durch verbissene Hartnäckigkeit, Gerissenheit, körperliche Ausdauer und brutale Kraft aus (BELTON 1994, 195).

Zu den Plots ließen sich die Autoren von Zeitungsartikel inspirieren. Viele hatten ihre Wurzeln in der „pulp fiction“ oder im Journalismus (vgl. SCHRADER 1972).

Rund zwanzig Prozent der films noirs zwischen 1941 und 1946 sind Adaptionen von „hard-boiled novels“ (ebda., 184). Häufig wurden auch die Autoren der „hard-boiled fiction“ engagiert, um Drehbücher zu schreiben oder an Drehbüchern mitzuarbeiten (z.B. Raymond Chandler) – so ist nachvollziehbar, warum viele der films noirs hinsichtlich Plot (Krimi, Thriller, Detektivgeschichte), Figuren (private eye, femme fatale, bad cop) und Atmosphäre (hoffnungslos, düster) davon deutlich beeinflusst sind.


  • Exilanten aus Europa

Einige europäische Filmemacher zog es bereits vor 1930 nach Hollywood (z.B. Joseph von Sternberg, 1927), der Großteil emigrierte notgedrungen zwischen 1930 und 1938.
Ab 1933 gab es in Deutschland ein Berufsverbot für jüdische Filmschaffende, die zuerst nach Wien gingen, um dort weiterzuarbeiten, was mit dem Filmabkommen 1936 über die Gleichschaltung der österreichischen mit der deutschen Filmindustrie bald unmöglich gemacht wurde.
Rund 1.500 (manchmal ist von 3.000 die Rede) SchauspielerInnen aus Theater, Kabarett und Film, DrehbuchautorInnen, RegisseurInnen, Kameramänner, Komponisten, aber auch SängerInnen verließen Deutschland und Österreich, viele gingen über Paris und London ins Exil in die USA.
Einige Regisseure machten noch in Paris ihre ersten Exilfilme (z.B. Fritz Lang „Liliom“, 1934, Billy Wilder „Mauvaise Graine“, 1934, sein Erstlingswerk als Regisseur, Ko-Regie mit Alexander Esway), andere waren bereits im deutschsprachigen Raum große Stars, wie Fritz Lang („Die Nibelungen“, 1924, „Metropolis“ 1927) oder Michály Kertész (später Michael Curtiz, „Die Sklavenkönigin“, 1924 und “Casablanca”, 1942).

Zu den osteuropäischen und deutschen Filmemachern (Regisseure, Komponisten, Kameramänner) des film noir gehörten u.a.: Fritz Lang, Robert Siodmak, Billy Wilder, Franz Waxman, Otto Preminger, Johan Braham, Anatole Litvak, Karl Freund, Max Ophuls, John Alton, Douglas Sirk, Fred Zinnemann, William Dieterle, Max Steiner, Edgar G. Ulmer, Curtis Bernhardt und Rudolph Maté.

Auch wenn unter den Filmemachern des film noir weit aus mehr US-Amerikaner als Europäer waren (vgl. BELTON 1994, 184), sind die Folgen dieses Kulturtransfers aus Europa vielfältig:

Der dem deutschen Expressionismus zugrundeliegende Ansatz, die psychologische Motivation von Figuren mithilfe von Licht und Schatten herauszuarbeiten (ERICKSON 1996, 314), führte zu besonders kontrastreich eingeleuchteten Filmbildern, die zum visuellen Stil von film noir wurden.
Das Gefühl fatalistischer Hoffnungslosigkeit des film noir entsteht nicht zuletzt dadurch, dass Filmfiguren gleich hell oder dunkler eingeleuchtet sind als ihre Umgebung und von Schatten richtiggehend überlagert sind.
Verzerrte Linien (vertikal, diagonal, z.B. auch bei Stadtansichten) dominieren, das Licht fällt bevorzugt in seltsamen geometrischen Formen (stumpfe Dreiecke, zackige Trapeze,  vertikale Spalten) auf Wände und Böden (vgl. SCHRADER 1972).

Im Film „Stranger On The Third Floor“ (1940) bswp. verweisen die Körperhaltungen der Schauspieler ebenfalls deutlich auf den Expressionismus (vgl. die Nosferatu-Haltung des Protagonisten oder die übertrieben gestische Spielweise der weiblichen Figur in Abb.1 und 2:)

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Der Einfluss europäischer Musik ist in vielen films noirs deutlich zu hören: Walzerrhythmen, berühmte Melodien (z.B. Franz Schuberts Unvollendete in „Kiss Me Deadly“, 1955, Franz Lehárs Walzer aus der „Lustigen Witwe“ in „Shadow Of A Doubt“, 1943) und auch die von Schönberg populär gemachte Atonalität tauchen in der Filmmusik vom film noir auf. Emigrierte Komponisten wie Erich Korngold, Hanns Eisler, Franz Wachsmann (Franz Waxman), Franz Steiner, Miklós Rósza oder Dimitri Tiomkin prägten die Filmmusik in Hollywood bis in die 1970er Jahre.

Europäische SchauspielerInnen, die – wie ihre KollegInnen hinter der Kamera – emigriert waren, taten sich wegen ihres Akzents oftmals schwer (Ausnahme z.B.: Marlene Dietrich) und wurden häufig von anderen Exilanten als Nebendarsteller engagiert, um so Geld verdienen zu können.
Dies führte dazu, dass in vielen films noirs verschiedenste Akzente zu hören und verschiedenste Ethnien zu sehen sind (überwiegend in Nebenrollen und nicht immer frei von Klischees).


  • Filmemachen in Hollywood: Technik, B-Movies und Production Code

Die Herstellung der films noirs wurde außerdem von den damals geltenden Produktionsbedingungen beeinflusst:

Fortschritte in der Aufnahme- und Beleuchtungstechnik führten zu neuen Filmaufnahmen:
Durch die beweglicheren Kameras wurde es möglich, SchauspielerInnen in ihren Bewegungen zu folgen und so Zeit zu sparen.
Durch das sensiblere Filmmaterial wurden nicht mehr so viele Scheinwerfer benötigt, es war nun möglich, mit Lampen, die im Bild zu sehen waren, eine Szene hell genug einzuleuchten (vgl. PORFIRIO 2001, 95).
Auch dadurch verlagerte sich die Absicht der Filmemachenden; sie wollten nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern visuell eine Stimmung kreieren, die sich auf das Publikum überträgt (vgl. die Interviews mit den damaligen Regisseuren wie Edward Dmytryk, Billy Wilder, Robert Wise, Otto Preminger in PORFIRIO 2001).

B-Movies: In den 1930ern entwickelte sich die double bill, eine Kinoeintrittskarte, die für zwei Filme an einem Abend galt: Der eine war ein teurer A-Film (mit einem Budget über 700.000 Dollar und mit Stars; eine große Studioproduktion, die überall beworben wurde), der andere ein billiges B-Movie (mit einem Budget unter 400.000 Dollar).
A-Filme bekamen prozentuelle Anteile an den Einnahmen, B-Movies wurden zu einem fixen Preis an den Kinobesitzer verliehen. So waren Filmemacher von B-Movies einerseits nicht so abhängig von den Einnahmen ihrer Filme, andererseits versuchten sie um so mehr, mit ihrem jeweiligen Film aufzufallen, um die Chance zu bekommen, einen A-Film zu gestalten (KERR 1979, 112, COWIE 1993, 131).

Knappe Drehzeit: Zu den Produktionsbedingungen eines B-Movies gehörte – neben dem knappen Budget – vor allem auch die (je nach Studio sehr) knappe Drehzeit: Während das große Studio RKO zu Beginn der 1940er knapp 150.000 Dollar Budget für B-Movies und 21 Tage Drehzeit für Regisseur Val Lewton zur Verfügung stellte, gab es bei der kleinen unabhängigen Firma PRC Jahre später nur 100.000 Dollar Budget und 6 Tage Drehzeit für Regisseur Edgar G. Ulmer (ebda., 113). Die häufigste Drehzeit lag vermutlich zwischen 12 und 18 Tagen (vgl. PORFIRIO 2001)

B-Movie Stil: Daraus resultiert, dass film noir-Regisseure oftmals eine bewegte Kamera einsetzen, um Spiel und Bewegung der SchauspielerInnen in möglichst wenigen Einstellungen einzufangen.
Eine schattenreiche Beleuchtung kaschiert fehlende Ausstattung und hilft so, Kosten und Drehzeit zu sparen. Auch die Tatsache, dass viele Szenen bei Nacht gedreht wurden, ist dem zeitlichen Druck zuzuordnen.
Vor 1946 wurde fast ausschließlich am Studiogelände gedreht; hier verwendeten B-Movie-Regisseure notgedrungen dieselben Kulissen, die schon aus den A-Filmen bekannt waren, und versuchten, diese aus neuen (und darum teils schrägen) Winkeln zu filmen, um keine Wiedererkennbarkeit zu gewährleisten (vgl. KERR 1979, 114)
Das Wissen um die sichere Abnahme durch Kinos sowie der Drang der Regisseure, mit einem B-Movie aufzufallen, führte zu formalen Experimenten, die neu und oft gewagt waren (vgl. die permanente subjektive Kamera in „Lady In The Lake“, 1947).
Auch die Themen und Geschichten der B-Movies wirken sensationslüstern und marktschreierisch, so, als wollten sie unbedingt hervorstechen und die Aufmerksamkeit eines potentiellen Publikums auf sich ziehen.

Production Code: 1930 wurde unter dem ehemaligen Vorsitzenden des Republikanischen Nationalkommittees, William Harrison Hays, der von 1922 bis 1945 Präsident der Motion Picture Producers and Distributors of America (MPPDA) war,  ein Katalog mit moralischen Richtlinien („a self-regulatory code of ethics“, JOHNSON 2000, zit. nach Katz’s Film Encyclopedia) erarbeitet, an die sich die Filmhersteller zu halten hatten.
Die Anwendung dieser Richtlinien, die production code oder auch Hays Code genannt wurden, war zunächst nicht verpflichtend, erst ab 1934 mussten sie befolgt werden, damit die Filme in den Kinos gezeigt wurden.
Als Direktor der Code Administration wurde Joseph I. Breen eingesetzt (JOHNSON 2000). Durch die Gründung einer freiwilligen Zensurbehörde wollte die amerikanische Filmindustrie eine Staatszensur verhindern (SPIEGEL 1957).

Die drei Allgemein Prinzipien des Production Code (im Short Cuts Menu ist der Link zum vollständigen Production Code) lauteten:

  1. No picture shall be produced that will lower the moral standards of those who see it. Hence the sympathy of the audience should never be thrown to the side of crime, wrongdoing, evil or sin.
  2. Correct standards of life, subject only to the requirements of drama and entertainment, shall be presented.
  3. Law, natural or human, shall not be ridiculed, nor shall sympathy be created or its violation.

Der production code umfasste zwölf Absätze, in denen detailliert beschrieben wurde, was im Film wie zu zeigen war.
In erster Linie sollte das Publikum nicht demoralisiert werden – was durch die Darstellung eines Mordes (insbesondere der Ausführung) oder durch leidenschaftliche Szenen passieren konnte.
Ebenso ausgenommen von der Darstellung waren Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen, Ehebruch, Sexualität, Alkohol und Drogen, aber auch Nackheit, Brutalität, Prostitution und die Todesstrafe (Hängen, elektrischer Stuhl).
Obszöne Titel durften nicht benutzt werden; Religion und nationale Gefühle sollten respektiert und nicht parodiert werden. Die Geburt eines Kindes zu zeigen, konnte ebenso demoralisierend wirken, wie das Zeigen von Drogenschmuggel oder der Einsatz von Handfeuerwaffen. Interessanterweise sollte auch Rache nicht als gerechtfertigt dargestellt werden.

Der production code war aber nicht unumstößlich, sondern lockerte sich mit der Zeit:
1953 wurde Otto Premingers Komödie „The Moon Is Blue“ von der Zensurbehörde wegen zu freizügigen Dialogs (die Frau erzählt einem Mann, den sie soeben kennen gelernt hat, dass sie noch Jungfrau sei) nicht freigegeben, doch als er ihn trotzdem vertrieb, wurde der Film nur in einem US-Staat von der Polizei verboten.
1955 drehte Preminger den Film „The Man With The Golden Arm“ über Rauschgift-Missbrauch, woraufhin der production code revidiert wurde: Rauschgift-Missbrauch, Prostitution, Abtreibung und Kidnapping durfte nun dargestellt werden, falls der Film nicht unnötige Detailschilderungen enthielt und nicht zur Nachahmung reizte (SPIEGEL 1957).
In der Folge erschienen Filme, die sich über den production code hinwegsetzten und dennoch erfolgreich waren („Baby Doll“, 1956, zwei Männer, die als Frauen verkleidet sind: „Some Like It Hot“, 1959, vgl. MONDELLO 2008).

Ab 1968 wurde der production code schließlich durch das heute noch geltende film-rating system der MPAA (Motion Picture Association of America) abgelöst, das Filme nach ihrem Anteil von Gewalt- und Nackt- bzw. Sexszenen mit Buchstaben versieht, um Eltern die Einschätzung zu erleichtern, ab wann ihre Kinder die Filme sehen sollten.

Die Mühen der Filmemacher, die ursprünglich geltenden Regeln des production code mithilfe von Andeutungen und ästhetischen Mitteln (z.B. spitze Büstenhalter oder enganliegende Kleider ohne Büstenhalter statt explizite Nacktheit) so zu umgehen, dass es die ZuseherInnen verstehen konnten, die Hüter des production code aber nicht bemerkten, führte zu spannenden Inszenierungen und anspielungsreichen Aussagen, die zahlreiche Szenen doppeldeutig und visuell spannend werden ließen.


  • Einfluss der Psychoanalyse

Freuds Theorien über das Bewusste und das Unbewusste, über den Traum als Wunschvorstellung und unterdrücktes Unbewusstes sind Anfang der 1940er auch in Hollywood weit verbreitet.
Auch seine Überzeugung, dass die Ursachen zu einer aktuellen neurotischen Störung eines Menschen in der frühen Kindheit liegen und sich auflösen, sobald sie entdeckt und erinnert werden sowie seine Methode der freien Assoziation (indem der Patient auf der Couch liegt und der Analytiker hinter ihm sitzt) sind hinreichend bekannt. (BORDWELL 2012, 12).

1924 versuchte Filmproduzent Samuel Goldwyn Freud zur Mitarbeit an einer Verfilmung zu überreden, erhielt aber von Freud eine Absage. Als ein Jahr später G.W. Pabst im Auftrag der UFA einen Film über Freuds Theorien drehte, distanzierte sich Freud in einem offenen Brief in der „Neuen Freien Presse“ davon und schrieb, dass er nie zur Herstellung eines psychoanalytischen Films seine Zustimmung gegeben habe und dies auch weiterhin nicht tun werde (DIETHARDT 2000).
Dennoch erschien 1926 G.W. Pabsts Film „Geheimnisse einer Seele. Ein psychoanalytisches Kammerspiel“, dessen Drehbuch Freuds Mitarbeiter Karl Abraham und Hanns Sachs überarbeitet hatten und in welchem ein von Freud berichteter Fall von seelischer Störung und der Heilung durch die Psychoanalyse gezeigt wird (ebda).
Elemente darin sind: Traum, Verdrängung, unbewusste Wünsche und Ängste, Entwicklung von Phobien, in diesem Fall vor Messern.
Freuds Hauptargument gegen die Verfilmung der Psychoanalyse blieb, dass er „es nicht für möglich halte, unsere Abstraktionen in irgendwie respektabler Weise plastisch darzustellen.“ (Freud an Abraham, 9.6.1925).

Was Freud, der 1939 starb, nicht voraussehen konnte, war die vielfältige Verwendung von Elementen der Psychoanalyse als filmische Mittel im film noir:

  • Schon die Erzählerstimme aus dem Off erinnert an die Methode der Psychoanalyse (eine Person erzählt von vergangenen Ereignissen).
  • Auch die achronologische Erzählstruktur vieler films noirs ähnelt der von Freud verwendeten Assoziationsmethode.
  • Ein weiteres indirekt verwendetes Element ist die Triebkraft vieler Noir-Protagonisten; sie haben keine genaue Begründung, warum sie tun, was sie tun; sie sind ihrem (unbewussten, sexuellen) Trieb ausgeliefert.

Andere Elemente, die Freud beschrieb, werden explizit im film noir eingesetzt, bspw.:

  • Träume als Visualisierung von Wunsch- oder Angstvorstellung der handelnden Figuren (z.B. Wunschvorstellung in „The Spiral Staircase“, 1945, Angstvorstellung in „Stranger On The Third Floor“, 1940),
  • Traumata, die einer seelischen Störung zugrunde liegen und aufgearbeitet werden müssen (z.B. „Spellbound“, 1945),
  • Psychoanalytiker als handelnde Figuren, die mittels Psychoanalyse einen Patienten heilen (z.B. „Spellbound“, 1945),
  • die Verwendung der Couch bei der Psychoanalyse oder
  • der Ödipus-Komplex, der verwendet wird, um seelische Störungen von Mördern zu erklären (z.B. „Secret Beyond The Door“, 1948).

Neben diesen zeitgeschichtlichen Einflüssen (wirtschaftliche, soziale und politische Situation in den USA, europäische Exilanten, Produktionsbedingungen in den Filmstudios in Hollywood sowie die Popularisierung der Psychoanalyse) gab es auch filmgeschichtliche Einflüsse:



FILMGESCHICHTLICHE KONTEXTUALISIERUNG

  • Deutsche Filme in den 1920ern

Mit Ende des ersten Weltkrieges entstanden im deutschsprachigen Raum Filme, die sich an der expressionistischen Malerei orientierten.
Als erster expressionistischer Film gilt „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1919) von Robert Wiene. Weitere bekannte expressionistische Filme sind „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau, „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) von Fritz Lang, „Das Wachsfigurenkabinett“ (1924) von Paul Leni, „Die Stadt ohne Juden“ (1924) von Hans Karl Breslauer und „Metropolis“ (1927) von Fritz Lang.
Merkmale des Expressionismus im Film sind die grotesk verzerrten Kulissen, die kontrastreiche Einleuchtung und das übertriebene Schauspiel. Vor allem die Art und Weise der Einleuchtung wirkte später im film noir nach, aber auch im Horrorfilm.


  • Französische Filme in den 1930ern

Der französische Film war bis Anfang und Mitte der 1930er Jahre durch Werke der Avantgarde geprägt, ehe Filmregisseure wie Jean Vigo, Julien Duvivier, Marcel Carné, Clouzot, Yves Allegret und Jean Renoir begannen, Filme zu machen, die auch die dunklen Seiten der Realität zeigten (poetischer Realismus).
Themen und Plotkonstellationen, mit denen sich französische Regisseure beschäftigten, wurden kurz nach Fertigstellung der jeweiligen Filme von in Hollywood arbeitenden Regisseuren aufgegriffen und erneut umgesetzt.
Filme, die auf diese Weise als Vorlagen von film noir dienten, waren bspw. „La Chienne“ (1931) von Jean Renoir (Remake als US-amerikanischer film noir 1945: „Scarlet Street“ von Fritz Lang), „La Bête Humaine“ (1938), ebenfalls von Jean Renoir (Remake als US-amerikanischer film noir 1954: „Human Desire“ von Fritz Mayo und (uncredited) Fritz Lang) oder „Le Dernier Tournant“ (1939) von Pierre Chenal (Remake als US-amerikanischer film noir 1946: „The Postman Always Rings Twice“ von Tay Garnett) (DURGNAT 1970, 38).


  • Amerikanische Filme in den 1930ern

Der erste Tonfilm war „The Jazzsinger“, der am 6. Oktober 1927 in New York Premiere hatte.
Die neuen Möglichkeiten der „Talkies“ brachten in der Folge einige neue Genres hervor:

  • Muscials („42nd Street“, 1933),
  • Gangsterfilme („Scarface“, 1932),
  • Horrorflme („Frankenstein“, 1931) und
  • Screwball-Komödien („It Happened One Night“, 1934),
  • aber auch große Epen („Gone With The Wind“, 1939).

Daneben gab es stets auch die Genres Western und Abenteuerfilm.
Das Happy End und die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse gehörte zu allen diesen Filmen und Genres.

Mit Kriegseintritt Anfang der 1940er kamen die Kriegsfilme hinzu und die Gangsterfilme veränderten sich: Sie wurden düsterer und moralisch ambivalent.
Während es die Genrefilme weiterhin gab (z.B. Musical, Western), wurden Elemente aus diesen Genres vom film noir übernommen (z.B. aus Musicals Songs oder angedeuteten Striptease wie in „Gilda“, 1946) und weiter entwickelt (z.B. zu einem film noir, der in der Prärie spielt und von der Stimmung her moralisch ambivalent und noir ist, wie z.B. „Leave Her To Heaven“, 1945, „Desert Fury“, 1947, „Pursued“, 1947).
Trotz all dieser klaren Genres war offenbar dennoch das Bedürfnis da, nicht immer nur die heile Welt zu sehen.

nächstes Kapitel: EINLEITUNG: Phasen

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