Kapitelübersicht:
a) Schnitt-Zeitpunkt
b) Rhythmus
c) Schuss-Gegenschuss-Verfahren
d) Montage von Dialogen
e) Montage einer subjektiven Perspektive
f) Manipulation der Zeit durch Montage
g) Rückgriff auf bereits verwendete Einstellungen
Die sorgfältig komponierten Kameraeinstellungen erhalten ihre tatsächliche Bedeutung oder Funktion erst durch die Aneinanderreihung im Schnitt oder – eine treffendere Bezeichnung – durch die Montage.
Die einzelnen Bilder werden in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. Im film noir ist das meist eine eher kausale als chronologische Reihenfolge, die an bestimmten Stellen von einer Rückblende oder einem Traum unterbrochen ist.
Oft wird zuerst eine totale Einstellung gezeigt, so dass man den Raum sieht, in dem die folgende Handlung spielt. Dann erst wird auf die einzelnen Gesichter geschnitten (vgl. die „analytische Montage“ nach BORDWELL 2012, 4). Auf Basis der gedrehten Bilder kann die Montage auch den Eindruck einer Subjektive vermitteln (Erleben aus der Perspektive einer Figur).
In der Montage wird auch die Zeitdauer festgesetzt, die dem Publikum zugestanden wird, um ein Bild abzutasten, wahrnehmen und erkennen zu können. Das menschliche Auge braucht ca. drei bis vier Sekunden, um ein stehendes Bild zu erfassen. In film noir ist diese Zeit – im Gegensatz zu heutigen Blockbustern – immer gegeben.
Bereits beim Drehen ist es wichtig, in der Inszenierung bzw. in der visuellen Umsetzung einen späteren Schnittpunkt festzulegen. Schnittpunkte sind am ehesten in Bewegungen der SchauspielerInnen zu finden (z.B. wenn sich eine Figur setzt, zur Seite dreht, sich vom Dialogpartner abwendet, nach einer Kaffeetasse greift, diese an die Lippen führt, aus einem Auto steigt, durch eine Tür geht, etc.).
Solche Schnittpunkte werden dann z.B. sowohl in einer totalen Einstellung, als auch in einer halbnahen Einstellung gedreht.
Der Schnitt wird genau in einer solchen Bewegung gesetzt; die Bewegung der Filmfigur verbindet die Filmbilder – das lässt den Schnitt flüssig erscheinen. (Z.B. geht Lana Turner in „The Postman Always Rings Twice“ (1946) von der Haustür zum Auto, die Kamera folgt ihr in einer Fahrt und endet auf ihr, als sie die Autotür öffnet und sich mit Schwung hineinsetzt. Schnitt auf eine nähere Einstellung, die sie beim Landen auf dem Autositz zeigt, überrascht davon, dass hinterm Steuer schon John Garfield, der junge Liebhaber in spe, sitzt.)
Bei diesen Schnitten in einer Bewegung lässt sich ein Muster erkennen: Es wird fast immer nach einem Drittel der Bewegung, d.h. kurz nach Bewegungsbeginn, oder aber im letzten Drittel der Bewegung, d.h. kurz vor Bewegungsende, geschnitten. (So wird es auch heute noch gehandhabt, vgl. PEPPERMAN 2004, 26f)
Es gibt allerdings weitaus weniger Schnitte, als man das aus jüngeren Filmen gewohnt ist: Grund dafür sind die raffinierten Fahrten und/oder Schwenks, die SchauspielerInnen oft über mehrere Minuten lang durch einen Raum begleiten.
Mithilfe von Spiegeln, die geschickt in den Filmräumen positioniert sind, werden diese Fahrt-Schwenk-Kombinationen verlängert und es entstehen immer neue, spannende Bilder, die keines Schnittes bedürfen.
Bei den Schnitten in einer Bewegung fällt auf, dass die Position der Kamera zur Filmfigur fast immer um mindestens 15° (oft auch 30-45°, manchmal 90°) verrückt ist und sich oft die Einstellungsgröße ändert (z.B. Schnitt von Totale auf Halbnahe).
Der Grund dafür liegt darin, dass der Schnitt auf diese Weise sehr unauffällig erscheint; vor allem verbunden durch den (sprunglosen) Ton. Diese Regeln werden auch heute noch an US-amerikanischen Universitäten gelehrt (vgl. meine Mitschriften an der University of California (USC), Los Angeles, 2002).
Werden diese Regeln (Winkelveränderung, Einstellungsgrößenänderung) nicht angewendet, sondern bspw. zwei Totalen aus beinahe demselben Winkel aufeinander geschnitten, springt das Bild.
Während das heute kein Filmfehler mehr, sondern ein gerne verwendetes Kunstmittel ist (inflationär im Dogma-Stil bei z.B. Lars von Triers Filmen wie „Breaking The Waves“, 1996), entsprach diese absichtliche Irritation offenbar nicht der Absicht der Film-Noir-Macher:
In den films noirs werden zur Lösung dieser Sprünge und zur visuellen Glättung einfach Überblendungen (von einem Bild auf das nächste) angewendet, die zugleich auch ein Zeitverstreichen suggerieren. Aus diesem Grund werden Überblendungen statt sogenannter harte Schnitte (= Bild folgt auf Bild, ohne Effekt) im film noir ständig verwendet. (Ausnahme: „Kiss Me Deadly“, 1955: Hier wird sehr oft hart geschnitten und zwar – wie heute noch üblich – auf jeweils den Raum etablierende Totalen, die die nächste Szene einleiten).
Als Variante davon gibt es den Effekt, dass sich das folgende, neue Filmbild über das noch stehende, alte Filmbild schiebt – und zwar gerne in einer Richtung, die zur Bewegung im Bild passt: wenn die Figur im neuen Filmbild von links nach rechts geht, schiebt sich dieses von links nach rechts über das alte Filmbild.
Wenn Filmfiguren im alten Filmbild eine Treppe hochlaufen, wird das alte Bild wie ein Vorhang hochgezogen und gibt das neue Bild frei, in dem die Figuren soeben im 1. Stock ankommen (z.B. in „The Seventh Victim“, 1943).
Zwischenschnitte
Schnitte gibt es nicht nur in Bewegungen, sondern auch bei Filmfiguren, die sich nicht bewegen, sondern reden – solche Schnitte finden oft statt, wenn zwei oder mehr Filmfiguren in einen Dialog oder eine Handlung vertieft sind, während eine andere Filmfigur z.B. plötzlich im Hintergrund auftaucht (vgl. „The Postman Always Rings Twice“, 1946) und wenn es in diesem Moment wichtig ist, zu zeigen, was zeitgleich passiert. So wird im film noir mittels Schnitt häufig Spannung hergestellt.
Diese recht abrupten Zwischenschnitte, die zeigen, was parallel im selben Raum zur selben Zeit geschieht, scheinen die Vorläufer der Parallelmontage zu sein (bei der zwei Ereignisse an zwei verschiedenen Orten montiert werden, um sie in bedeutsame Beziehung zueinander zu setzen), die im übrigen im film noir nicht verwendet wurde.
Hier gilt noch die Aristotelische Regel von der Einheit von Zeit, Ort und Handlung (zumindest für die Szenen, für die Filme gilt sie nicht immer, da es in manchen große Zeitsprünge gibt und auch die Orte teils geographisch weit auseinander liegen.)
Mit der Montage der einzelnen Bilder oder der einzelnen Sequenzen zu einem Ganzen bestimmt man auch jeweils den Rhythmus einer Szenenabfolge oder eines Films.
Im film noir herrscht – aufgrund der vielen Fahrten und der wenigen Schnitte – ein eher langsames Tempo vor; obwohl sich die Spannung – auch für heutige Verhältnisse – teilweise ins Unerträgliche steigert.
Es ist höchst interessant, wie das in den films noirs gelingt, ohne dass, wie heute üblich, Szenen im Schnitt bis zur Sinnlosigkeit in einzelne Einstellungen zerrissen werden.
Nach ausführlicher Analyse entsteht der Eindruck, als ob in den films noirs gerade wegen der sparsamen Schnitte und der spannungssteigernden Kamerabewegungen eine Spannung von anderer Qualität entsteht als in den heutigen Blockbustern:
Ständiger Schnitt erhöht die physiologische Spannung; das Auge muss sich permanent auf neue Bilder einstellen, die in weniger Zeit als den benötigten drei bis vier Sekunden auf die Leinwand geworfen werden (in Actionszenen unter zwei Sekunden).
Im film noir hingegen herrscht eine psychologische Spannung, die sich aus der visuellen Umsetzung der Subjektive einer bestimmten Hauptfigur (und der Identifikation mit ihr) und aus dem sorgsamen dramaturgischen Szenenaufbau ergibt (die handelnde Figur versucht, etwas zu erreichen, wobei es mehrere Wendepunkte gibt, vgl. die Szene zwischen Martha Ivers und ihrem Freund aus Kindertagen am Lagerfeuer in „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946).
Gesprächsszenen wechseln sich entweder von der Länge her ab (länger – kürzer, vgl. „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946) oder mit Szenen ohne Gespräch, dafür Musik (vgl. „Vertigo“, 1958: die langen Autofahrten beim Beschatten der geheimnisvollen Fremden vs. die Gespräche mit der Freundin).
Gesprächsszenen können sich aber auch mit Szenen physischer Aktion abwechseln (z.B. „The Seventh Victim“, 1943: die Schwester spricht einerseits mit Leuten über den Verbleib ihrer Schwester und sucht andererseits Orte bei Nacht auf oder flüchtet in der U-Bahn vor verdächtigen Männern).
Meist werden auch handlungsrelevante Informationen (zur Auflösung des Rätselplots z.B.) und charakterrelevante Emotionen in einem bestimmten Rhythmus (abwechselnd) gezeigt (z.B. in „Spellbound“ (1946): Ingrid Bergmann findet abwechselnd Sachen über das Trauma ihres Geliebten heraus und kommt ihm zwischendurch näher) – Privates und Berufliches bzw. das Fortschreiten von Plot und Subplot werden in abwechselnden Szenen gezeigt.
c) Schuss-Gegenschuss-Verfahren
Im Schuss-Gegenschuss-Verfahren werden die Bilder aus zwei mehr oder weniger einander gegenüber gesetzten Kamerapositionen nacheinander montiert.
Auf diese Weise werden vor allem Dialoge zwischen zwei (oder mehr) sich gegenüberstehenden Personen gedreht oder der Eindruck einer subjektiven Kamera erzeugt.
Im Dialog gibt es zwischen den sich gegenüber stehenden Filmfiguren eine Blick- oder Handlungsachse.
Der Kameramensch entscheidet sich für eine Seite dieser Achse und positioniert dort die Kamera. Diese Achse wird im film noir nicht gewechselt (in späteren Filmen sehr wohl, hier ist es nicht mehr Filmfehler, sondern als bewusster Achsensprung ein mittlerweile etabliertes konventionelles Stilmittel).
Steht die Kamera näher an der Achse, ergibt sich eine frontalere Einstellung. Die Kamera steht jedoch niemals direkt auf der Blickachse, denn das würde bedeuten, dass die gefilmte Figur in die Kamera blicken müsste (Ausnahme: „Dark Passage“, 1947 oder „Lady In The Lake“, 1947) – und das wiederum würde die Illusion einer unsichtbaren Wand zwischen Film und Publikum zerstören (was heute manchmal als Stilmittel eingesetzt wird, um die scheinbare Authentizität einer Dokumentation oder Reportage herzustellen, so als ob ein Reporter oder eine interviewte Person in die Kamera spräche, vgl. „The Blair Witch Project“, 1999).
Weitere Handlungen, bei denen das Schuss-Gegenschuss-Verfahren eingesetzt wird, sind neben dem Gespräch das Bedrohen mit einer Waffe und die (meist von einem Gespräch begleiteten) Momente vor einem Kuss.
Dialoge werden im film noir als Kombination von Einzeleinstellungen (z.B. abwechselnd Mann und Frau) oder von Einzel- mit Zweier/Dreier-Einstellungen (z.B. abwechselnd die Ärztin und die Gruppe männlicher Ärzte) dargestellt.
Dabei wird stets auf dieselbe Art und Weise verfahren, um die Identifizierung mit einer bestimmten, von den Filmemachern vorgegebenen Filmfigur in der jeweiligen Szene anzuleiten:
Die Figur, mit der wir emotional mitfühlen sollen (oder es durch die vorhergehenden Szenen bereits tun, häufig der/die ProtagonistIn), ist uns während der wichtigen Momente im Gespräch näher als die anderen.
Konkret wird diese Filmfigur in einer größeren Einstellung gefilmt (z.B. wird diese Filmfigur während des Dialogs in einer nahen Einstellungen gezeigt, während die anderen Figuren in halbnahen Einstellungen gefilmt werden).
Das während des ganzen Dialogs durchzuhalten wäre aber platt, darum wird in fast allen films noirs nur in den bedeutsamsten Momenten auf die Groß- oder Naheinstellungen der wichtigen Figur geschnitten. Die anderen Figuren werden selten in dieser Einstellungsgröße gezeigt.
Es fällt auf, dass in vielen films noirs damit experimentiert wird, die Schnittreihenfolge trotz des Schuss-Gegenschuss-Verfahrens nicht immer an den Sprechenden anzupassen.
Im Gegenteil: Häufig wird während eines Dialoges jemand gezeigt (meist die Hauptfigur der Szene oder des Films), der zuhört – während die sprechende Figur mit dem Rücken zur Kamera oder außerhalb des Bildes steht.
In solchen Darstellungen ist die Reaktion der zuhörenden Figur auf das Gesagte wichtiger als der Sprechende selbst. Zwangsläufig nimmt man die Seite der zuhörenden Filmfigur ein, da man diese länger und näher sieht.
Wird diese durch den Schnitt erzeugte Wirkung kombiniert mit einer untersichtigen Kamera, erscheint die mit dem Rücken zur Kamera oder außerhalb des Bildes stehende sprechende Figur als besonders machtvolle Figur (vgl. „Gilda“ (1946), die Dialogszenen zwischen Johnny, Gilda und Gildas Ehemann, wo dieser entweder als schwarze Silhouette im Bild zu sehen ist oder außerhalb des Bildrahmens steht und spricht).
Anfang und Ende eines Dialogs sind im film noir dramaturgisch noch nicht bzw. nicht mehr so dicht inszeniert (= weitere Einstellungen). Dadurch entsteht während des Gesprächs (durch die nahen Einstellungen) das Gefühl einer Intensivierung, das am Schluss (durch die weiteren Einstellungen) wieder gelockert wird.
e) Montage einer subjektiven Perspektive
Das Schuss-Gegenschuss-Verfahren wird im film noir oft dazu verwendet, eine subjektive Kameraperspektive zu suggerieren, d.h. den Eindruck zu vermitteln, die Kamera sähe das, was die Filmfigur sieht.
Das gelingt nach demselben Prinzip: Zwischen der Filmfigur und einem Objekt oder einer anderen Figur, die sie sieht, entsteht eine Blickachse.
Die Kamera muss – um den Eindruck zu erwecken, die Sache aus der Perspektive der Figur zu sehen – genau auf dieser Blickachse stehen (im Gegensatz zum Dialog, wo sie das nicht sollte).
Für den Gegenschuss auf das Gesicht der Figur wird die Kamera so nahe wie möglich an der Blickachse positioniert (aber nicht auf ihr, sonst würde die Figur in die Kamera blicken), so dass sich oft eine ziemlich frontale, meist nahe oder große Einstellung auf die Figur ergibt.
Durch die abwechselnde Montage von Gesicht der Figur und dem Gegenstand, den die Figur sieht, ergibt sich der Eindruck einer Subjektive. Das Gefühl von emotionaler Nähe zur Filmfigur ist im Optimalfall in solchen Bilderfolgen besonders stark.
Oft wird die Suggestion einer subjektiven Perspektive durch die Bewegung der Kamera verstärkt:
Im Film „The Seventh Victim“ (1943) betritt ein Mann einen Raum in einer totalen Einstellung, Schnitt auf eine amerikanische Einstellung (bis knapp über den Knien): Der Mann sieht sich um – indem er den Kopf so bewegt, als suche er mit den Augen das Zimmer ab.
In diese Bewegung wird hineingeschnitten: Die Kamera steht an seinem Platz und filmt in die Richtung, in die er eben sah; sie schwenkt von rechts nach links und imitiert so seine Kopfbewegung. Schnitt zurück auf die totale Einstellung wie zu Beginn, wir sehen wieder den Mann, der den Raum mit Blicken und derselben Kopfbewegung absucht.
Die Kamera imitiert hier die Kopfbewegung und den Blick des Mannes mittels eines horizontalen Schwenks; allerdings sind die Schnitte unsauber, weil der Mann den Kopf schneller bewegt als die Kamera (in der Schnelligkeit des Schnitts fällt das allerdings nicht weiter ins Gewicht bzw. stört das Zusehen nicht.)
Eine anderes, sauberer inszeniertes Beispiel findet sich in „Spellbound“ (1945), als Ingrid Bergmanns Figur die Treppen hinaufgeht und Licht unter dem Türspalt von Montgomery Clifts Figur sieht. Auch hier wird ihre nach oben führende Bewegung durch das Treppensteigen in eine in die Höhe steigende Kamera (boom up) übersetzt, was den Eindruck verstärkt, sich als Ingrid Bergmann die Treppe hinauf und auf den Türspalt zuzubewegen.
Die Subjektive dient also (wie im ersten Beispiel) als pure visuelle Abwechslung oder (wie im zweiten Beispiel) als Emotionalisierungs- und Intensivierungsstrategie.
Ein besonders effektives Beispiel für letzteres findet sich ebenfalls im Film „Spellbound“ ab Min. 1:34:10 (1945), als Gregory Peck wieder einfällt, wie er als Kind in einem Unfall seinen Bruder tötete (Abb. 92 a bis f).
Diese Szene wäre schon aus einer objektiven Kameraperspektive sehr dramatisch; indem die Kamera aber das Geschehen abwechselnd aus der subjektiven und der objektiven Perspektive zeigt, steigern sich Spannung und Tragik ins Unerträgliche:
f) Manipulation der Zeit durch Montage
In der Montage wird im film noir die Zeit gedehnt, z.B. indem Traumsequenzen, Zukunftsvisionen oder Erinnerungen eingefügt werden.
Mittels Montage kann die Zeit aber auch verkürzt werden: Mit Überblendungen werden Zeitsprünge angedeutet.
Beträgt der Zeitsprung einige Monate oder Jahre erfolgt nach einer Abblende (Überblendung auf Schwarz) das Einfügen einer Schrift (z.B. „15 Jahre später“), und bei der nächsten Aufblende (Überblendung von Schwarz) sind wir in einer anderen Zeit bzw. auch an einem anderen Ort.
g) Rückgriff auf bereits verwendete Einstellungen
Durch die visuelle Inszenierung kann in der Montage auch auf bereits verwendete Einstellungen oder montierte Bilderfolgen zurückgegriffen werden:
Das legt eine besondere Bedeutsamkeit auf die doppelt gezeigten Bilder bzw. löst mehr Assoziationen in der ZuschauerIn aus, weil man sich an die Bildbedeutung des ersten Zeigens erinnert.
Ein Beispiel: Im Film „The Spiral Staircase“ (1945) gibt es eine Szene im ersten Filmdrittel, in der die stumme Hauptfigur vor dem Spiegel auf der Treppe ihren Mund und Hals verzweifelt betastet, so als wolle sie begreifen, warum sie stumm sei oder warum kein Ton aus ihr heraus kommt.
Gegen Ende des Films sieht man in derselben Einstellung, wie sie ihrem Mörder begegnet (und entkommt): Dieser erklärt ihr vor dem Spiegel, dass er sie töten müsse, weil sie stumm sei. Es entstehen durch das Wiedererkennen der Szene sofort Assoziationen zur ersten Szene und ihrer Verzweiflung angesichts ihrer Stummheit.
Somit ist diese zweite Szene vor dem Spiegel spannungsgeladener, als würde sie z.B. am Fuß der Treppe stattfinden, wo sich vorher im Film noch keine bedeutsame Szene ereignet hat.
Ein solches nochmalige Zeigen eines Bildes oder einer Bilderfolge, betont auch das Gefühl von Wiederholung:
In „Spellbound“ (1945) (Szene ab Min. 20:30) geht Ingrid Bergmanns Figur nachts die Treppen hinauf und sieht von dort einen Lichtstreif unter der Tür des neuen Arztes, in den sie sich verliebt hat (es folgt eine Liebesszene).
Am Filmende hingegen, als der geliebte (und unschuldige) Mann wegen Mordes verhaftet wurde, geht sie wieder die Treppe hinauf, sieht wieder den Lichtstreif und betritt wieder den Raum – in dem diesmal aber der zurückgekehrte Arzt und tatsächliche Mörder sitzt.
Es folgt die Konfrontation mit ihm, sein Geständnis und sein Selbstmord (Szene ab Min. 1:43:20).
Beide Male zieht es sie regelrecht in das Zimmer, beide Male spielt sich etwas Bedeutsames darin ab. Zwar ist die Bilderfolge zu Beginn dieser Szenen eine fast wortwörtliche Wiederholung, in emotionaler Hinsicht aber stellen die danach stattfindenden Szenen den größtmöglichen Kontrast dar.
