Kapitelübersicht:
a) Das Gift im Glas (der Schierlingsbecher)
b) Schriften
c) Medien (Telefone, Zeitungen)
d) Alkohol
e) Waffen
f) Autos
g) Technik
h) Radioaktivität
Immer wieder kommen in den Handlungen der films noirs wichtige Gegenstände vor, die auch entsprechend ins Bild gesetzt werden müssen, damit sie vom Publikum als wichtig verstanden werden.
a) Das Gift im Glas (der Schierlingsbecher)
In „Citizen Kane“ (1942) wird das Glas mit Medizin, mit der sich Kanes zweite Frau umzubringen versucht, visuell unübersehbar inszeniert:

Als Kane seine Frau im Bett vorfindet, steht im Vordergrund das Glasfläschchen mit der Medizin und ein Glas mit Löffel, aus dem sie scheinbar getrunken hat. Im Mittelgrund wälzt sich unscharf die Frau im Bett. Im Hintergrund kniet Kane am Bett, mit fassungslosem Gesicht, das entgegen den Regeln der Tiefenschärfe ebenfalls scharf ist.
Diese doppelte Schärfe (im Vordergrund und Hintergrund) in derselben Einstellung hebt die Bedeutung des Glases mit Gift hervor.
In „The Seventh Victim“ (1943), einem Film über eine Sekte, deren Mitglieder mittels Giftcocktail eine Abtrünnige zum Suizid zwingen wollen, wird dieses Glas ebenfalls besonders in Szene gesetzt (Abb. 31 a und b):
In einer Reihe von Einstellungen steht das einzelne Glas auf einem leeren Tisch vor der Abtrünnigen, die in einem frei stehenden Ohrenfauteuil sitzt. Das Glas vor ihr ist sehr hell eingeleuchtet.
Das Bild links und rechts von ihr ist zuerst frei, im Laufe der Szene wird das Bild immer dichter, es scheint, als ob ihr immer mehr Sektenmitglieder gegenübersitzen, obwohl doch nur die Bildgestaltung und die Einstellungsgröße verändert ist (dichter, näher), während das Glas weiterhin strahlendes Zentrum jeder Einstellung ist. Der Giftcocktail ist manifestierter Wille der Sekte und Antagonist für die Abtrünnige, gegen den sie ankämpfen muss (Abb. 36 a und b).
Das strahlende Licht um das Glas hat auch eine erleuchtende, erlösende Konnotation, oft im religiösen Kontext verwendet, (vgl. ANKER 2007, S. 303f).
Im Film „Notorious“ (1946) wird der Kaffeetasse mit dem Gift, das Ingrid Bergmann töten soll, durch die Art der Kameraführung besonderes Gewicht verliehen.
Die Kamera bewegt sich selbständig und gegen die Tradition: Statt den sprechenden und handelnden Figuren zu folgen und dem Publikum deren Gesichter zu zeigen, schwenkt die Kamera immer wieder auf die Kaffeetasse mit dem Gift, während die Figuren wie im Nebenbei die Szene spielen.

Es ist, als ob die Kamera den FilmzuseherInnen zeigen wollte, was tatsächlich passiert bzw. was des Rätsels Lösung ist, während die handelnden Figuren (Ingrid Bergmann, Arzt) das nicht mitbekommen.
Gerade dieser Kontrast zwischen Wissen (durch die visuelle Anspielung) seitens des Publikums und Nichtwissen der Hauptfigur macht das Zuschauen so spannend.
Schließlich ist die Kaffeetasse groß im Bildvordergrund, während im Hintergrund Ingrid Bergmann und auch der Arzt zu sehen ist. Diese Einstellung löst das Gefühl von Unerträglichkeit aus – man fragt sich, wie lange Ingrid Bergmann das Offenkundige noch übersehen kann.
Kurz darauf verraten sich der Ehemann und seine Mutter, und Ingrid Bergmann begreift endlich, dass sie von den beiden vergiftet wird.
Die Kaffeetasse wird in diesem Fall dadurch mit Bedeutung aufgeladen, dass sie ungewöhnlich oft und ungewöhnlich groß im Bild ist, während die handelnden Figuren teils im Bildhintergrund, teils sogar außerhalb des Bildes sind.
Schriften werden im film noir häufig verwendet, um Informationen zu übermitteln, die anders nicht zu übermitteln wären:
Beliebt sind Briefe, die ein Ereignis im Nachhinein erklären, aber auch Schilder (Hotelschilder, Straßenschilder, Detekteibeschriftungen, Restaurantnamen), die erkennbar machen, in welchem Raum sich die folgende Szene abspielt.
Da Schilder an sich starre Gegenstände sind, handelt es sich meist um unbewegte Einstellungen, die oft mit einer Überblendung begonnen werden, ehe es mit einer Überblendung zum nächsten Bild weitergeht.
Manchmal gelingt es den Filmemachern, Bewegung hineinzubringen: Man zeigt in einer unbewegten Einstellung ein stark spiegelndes Schild (z.B. aus Gold oder Silber) mit einer eingravierten Schrift (z.B. der Hotelname), indem sich das Licht von vorbeifahrenden Autos spiegelt – so erhält die Einstellung den Eindruck von Licht und Schatten und von Bewegung (z.B. „Spellbound“, 1945):

Ein Schild in der räumlichen Ausstattung kann aber auch dazu genützt werden, filminterne Traditionen wie das permanente Rauchen satirisch zu kommentieren:
Wie bspw. in „The Strange Love Of Martha Ivers“ (1946), als die beiden Polizisten am Revier soeben die Zigaretten auspacken und hinter ihnen groß ein Schild mit den Worten „No Smoking“ an der Wand hängt:

Die Seite eines Briefes oder ein hinterlassener Zettel wird oft gezeigt, um eine Handlungsmotivation zu erklären (z.B. warum eine Figur weggegangen ist).
Diese Schrift auf Papier wird immer in einer Großeinstellung gefilmt, damit sie leserlich ist, die Kamera ist meist frontal aufs Papier gerichtet oder das Papier leicht gedreht – stärkere Drehungen wären nicht sinnvoll, da die Schrift nicht mehr gut lesbar wäre.
Das erzeugt gleichzeitig den Eindruck einer subjektiven Kameraeinstellung – d.h., man glaubt, man sähe das Papier aus der Perspektive der Figur. Sind in der Einstellung auch noch Finger zu sehen, die das Papier halten oder zittert das Papier etwas, verstärkt sich dieser Eindruck.
Der Film „Address Unknown“ (1944) bezieht seine Spannung hauptsächlich aus der Inszenierungen von Briefen, die den Protagonisten in den Wahnsinn treiben.
Im Film „Casablanca“ (1942) wird ein zusätzlicher Effekt angewendet: Als Rick (Humphrey Bogart) Ilsas Brief im Regen am Bahnhof erhält, in dem sie mit ihm bricht, verläuft die Schrift, was Bewegung im Bild erzeugt – vermeintlich im Regen, doch der Gegenschuss auf Rick zeigt, dass er nasse Wangen hat, so, als könnte er auch ein oder zwei Tränen vergossen haben.
Die Zweideutigkeit, ob das durch den Regen oder seine Tränen geschieht, stellen ihn als einen äußerst empfindsam inszenierten Mann dar, obwohl er doch so zynisch agiert, was die Identifikation mit ihm erleichtert und damit die Spannung für die Filmhandlung erhöht:
Schrifteinsatz ist auch immer mit einer Erkenntnis verbunden: Die Filmfigur erkennt etwas, was sie vorher nicht wusste.
Damit ist für die Montage ein Wechselspiel aus Einstellungen, die die Schrift und solchen, die das Gesicht der Figur (wundern, Überraschung, Erkenntnis, Entsetzen) zeigen, mehr oder weniger vorgegeben.
Schriften können auch dazu verwendet werden, eine Filmfigur als Lügner zu überführen und im Rahmen eines Rätselplots („The Riddle“ nach TOBIAS 2003) als Hinweis zur Lösung eingebaut werden:
So macht es Hitchcock im Film „Spellbound“ (1945), wo er in einer Großeinstellung die zwei unterschiedlichen Handschriften eines Mannes zeigt, so dass Ingrid Bergmanns Figur erkennt, dass er nicht der Mann ist, als der er sich ausgibt:
c) Medien (Telefone, Zeitungen)
Medien werden oft prominent inszeniert, da sie dazu dienen, die Filmhandlung voran zu bringen: In vielen Einstellungen ist ein Telefon am Bildrand zu sehen, mittels Licht (Reflexionen) gut erkennbar und oft in die Handlung einer Figur eingebaut (um Hilfe rufen, sich informieren, jemanden nicht erreichen, etc.) (Abb. 37 und 38).
Besonders spannend ist bspw. die Einstellung in „I Confess“ (1953), als die weibliche Hauptfigur (Anne Baxter) telefoniert, dabei aber ihr Gesicht nicht zu sehen ist (Abb. 37).
Stattdessen ist die Lampe, das Telefon, ihr Arm und hinter dem Ohrensessel auch Haar im Bild; durch die Art und Weise, wie sie sich erschöpft aufstützt, und durch den Klang ihrer Stimme wird ihre Stimmung transportiert, durch das Nicht-Zeigen ihres Gesichts wird die Spannung wesentlich erhöht.
Auch Zeitungen werden verwendet, um Information zu transportieren oder um die Stimmung, die in der Luft liegt, zu zeigen (vgl. Abb. 38).
Da im film noir viele verzweifelte Figuren Protagonisten sind und diese oft ein Alkoholproblem haben, ergibt sich die Notwendigkeit, diese Figuren beim Trinken oder im Moment kurz davor oder dazwischen zu zeigen.
Dadurch wiederum sind Wein- oder Cocktailgläser, Whiskey- oder Cognacgläser, Weinflaschen oder Flaschen mit Hochprozentigem sehr oft im Bild: Entweder stehen sie angeschnitten und unscharf im Bildvordergrund oder sie nehmen die Dialogposition gegenüber einer Figur ein (Humphrey Bogart in „Casablanca“ (1942), Abb. 39).
Häufig sind Gläser oder Flaschen in den Händen einer Figur und die Art und Weise, wie diese trinkt oder ob sie Glas oder Flasche abstellt, charakterisiert diese Figur (verzweifelt, wie ein Fass ohne Boden, langsam und genießend, etc.).
Gegenstände, die häufig im Film-Noir-Bild sind, sind Waffen aller Art: Revolver, Pistolen, Gewehre, und auch Messer.
Gewehre haben den visuellen Vorteil, dass sie, wenn sie schräg gehalten werden, eine Diagonale in der 4:3 Bildgestaltung bewirken: z.B. in „Road House“ (1948), als Ida Lupino das Gewehr hochhält:
Pistolen und Revolver werden üblicherweise mit Licht aus dem dunklen Filmbild hervorgehoben, in wenigen Filmen sind sie in Großaufnahme zu sehen („Spellbound“, 1945).
Messer eignen sich ebenfalls sehr gut, um mit Licht im Bild sichtbar gemacht zu werden (reflektierende Schneide, Abb. 40 a und b).
Im Film „Spellbound“ (1945) wird das Messer gleich zweimal gezeigt:
Einmal, als ein Patient es in Ingrid Bergmanns Händen sieht und sie Briefe öffnet – hier will der Patient sichtlich das Messer in die Hände bekommen (möglicherweise spielt das Messer eine Rolle bei seinem Trauma).
Das zweite Mal geht die männliche Hauptfigur Gregory Peck mit dem Rasiermesser unheimlich langsam an der schlafenden Ingrid Bergmann vorbei.
Was die beiden Figuren jeweils mit dem Messer vorhaben, weiß man nicht, es wird auch – im Gegensatz zum Traum – am Filmende nicht aufgelöst.
Die Vermutung drängt sich auf, dass das Messer mit schimmernder Schneide nicht nur eine handlungsrelevante Anspielung ist, sondern auch auf den Film von G.W. Pabst, „Geheimnis einer Seele“ verweist (v.a. Abb. 40 a, das Messer als Brieföffner); dieser thematisierte als einer der ersten Filme die Psychoanalyse und erklärte darin die Wirkweise der Seele (eine der handelnden Figuren hat eine seltsame Faszination mit Messern, die durch die Vergangenheit der Figur am Schluss erklärt wird).
Im Film „Spellbound“ (1945) wirkt es durch diese doppelte Verwendung des Messers und die fehlende Begründung dafür so, als ob ein verdrängtes Trauma gleichzeitig auch immer mit der Faszination von Messern zu tun hätte (was so nicht der Theorie Freuds entspricht, sondern eher ein absichtliches Missverständnis bzw. ein satirischer Kommentar zu sein scheint).
Im film noir spielen Autos eine wichtige Rolle – nicht nur in Form von Autoverfolgungsjagden (z.B. „Sunset Boulevard“, 1950), sondern auch als Ausdruck des Charakters (vgl. Jean Simmons in „Angel Face“, 1952) oder als alternative Filmlocation, nämlich als Cabrio auf der Anhöhe mit Blick über die Stadt, z.B. „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946:

Die Kraft des Benzinmotors symbolisiert in nicht wenigen Filmen die charakterliche Dynamik der Hauptfigur (z.B. wenn in „Angel Face“, 1952, die von Jean Simmons gespielte Protagonistin stets ins Bild läuft oder mit einem schnellen Auto ins Bild fährt).
Das Auto ist eher mit Macht und Status verbunden; dementsprechend fahren meist Männer Autos, Frauen jedoch kaum – und wenn, dann sind es Töchter reicher Eltern (z.B. „Angel Face“, 1952), Ehefrauen reicher Männer (z.B. „The House On Telegraph Hill“, 1951) – nur im seltensten Fall haben sie dafür gearbeitet (wie in „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946).
Elektronische Geräte zur Überwachung sind in einigen films noirs bereits wichtige Requisiten – naturgemäß vor allem von mächtigen Männern (vgl. die in die Wand montierte Schaltung zum Abhören aller Tische im Nachtclub in „Gilda“, 1946) und Detektiven, vgl. den Anrufbeantworter, der neben dem Schreibtisch mit dem Telefon in der Wand verbaut ist in „Kiss Me Deadly“, 1955:
Ein witziges Requisit, das technisch nicht aufwendig ist, aber wie ein Verweis in die Zukunft wirkt, ist das handflächengroße Spiel im Holzkästchen des ermittelnden Detektivs in „Laura“, (1944): Ständig spielt er damit (Labyrinth mit Holzkugel), wenn er Verdächtige verhört: Anstatt ihnen seine Aufmerksamkeit zu widmen, ist sein Blick auf das Holzspiel gerichtet – er sagt, es entspanne ihn und trage somit zur Lösung des Falles bei. Aus heutiger Sicht könnte man es allzu leicht für ein Handy halten.
Im Film „The Big Combo“ (1955) taucht ein weiteres technisches Gerät auf: Ein Hörgerät der damaligen Zeit, das aus einem Teil besteht, das der schwerhörige Ganove um den Hals trägt (Mikrofon) und per Kabel mit einem kleinen Teil verbunden ist (Lautsprecher), den der Ganove meist im Ohr trägt.
Das Hörgerät wird im Laufe des Films als Folterungsmittel zweckentfremdet, um dem Ermittler ins Ohr zu brüllen.
Einige Filme behandeln auch das Thema „Radioaktivität und ihre Folgen“ und versuchen sich in der visuellen Darstellung mit teilweise interessanten Resultaten (Zur Erinnerung: die Atombomben auf Japan wurden 1945 abgeworfen, 1950 zündete die Sowjetunion ihre erste Testatombombe):
So gründet sich die Filmhandlung des Films „D.O.A.“ (1950, = Death On Arrival) auf die Vergiftung des Protagonisten durch ein „luminous poison“, sprich ein radioaktives Gift. Er hat eine Woche, um dieses Verbrechen an seiner Person aufzuklären, bevor er an der Vergiftung stirbt.
Das radioaktive Gift wird in der ersten Filmhälfte ein einziges Mal gezeigt, und zwar in der Pipette des Arztes, der ihm die bevorstehende Übelkeit beschreibt. Als der Arzt das Licht abdreht, ist das Bild finster, nur die Pipette leuchtet.
Im Gegensatz dazu wird Radioaktivität im Film „Kiss Me Deadly“ (1955) ab Min. 02:00 mythologisch mit der Box der Pandora verbunden (Abb. 42):
Die Box ist der Gegenstand, der im Film gesucht und gejagt wird. Als die Geliebte des Antagonisten die Box am Schluss für sich haben möchte und öffnet, strahlt Licht hervor, das sie zuerst stark blendet, dann verbrennt (sie geht in Flammen auf). Beim Öffnen der Box dringt nicht nur Licht hervor, sondern auch leicht wallender Nebel, begleitet von Atemgeräuschen.
Die Radioaktivität wird hier als „Das Böse“ inszeniert, das – im Gegensatz zur Realität! – sinnlich wahrnehmbar ist (sichtbar, hörbar).
Interessant ist auch die Gleichsetzung des nahenden Todes bzw. der Gefährlichkeit mit strahlend hellem Licht (ganz im Gegenteil zum sonst als finster assoziierten Tod).
Allerdings ist die realistische Darstellung der Radioaktivität (unsichtbar, unhörbar, geruchlos) im audiovisuellen Medium des Films sehr schwierig.











