4.5 Licht und Schatten

Während in der Literatur zum Thema film noir häufig nur von „Lichtgestaltung“ die Rede ist, muss bei der Analyse der films noirs sehr wohl Licht- und Schattengestaltung behandelt werden.
Obwohl es kein verpflichtendes Merkmal eines film noir ist, schwarzweiß zu sein, sind doch die meisten in dieser eher abstrakten und das Grafische betonenden Gestaltungsvariante gedreht.

Licht kommt im film noir nicht nur die Aufgabe zu, den Blick des Publikums zu lenken und plotrelevante Gegenstände oder Handlungen gut sicht- und damit erkennbar zu machen, sondern auch, eine spezifische Stimmung zu kreieren.
Wie sich der Lichteinsatz durch die neue Art des Einleuchtens verändert hat, analysiere ich im Folgenden anhand dieser Schlagworte:

 


  • Neue Art des Einleuchtens

Die Lichtsetzung im film noir besteht aus drei Lichtquellen: dem Hauptlicht, einer meist von vorne und zwar von schräg oben kommender Lichtquelle, der Aufhellung (auch Fülllicht), die schwächer ist und von der anderen Seite kommt (die Kante) und dem Spitzlicht (auch Spitze oder Kante), einer Lichtquelle von schräg hinter der Figur, die meist einen Lichtstreifen auf den hinteren Kopf wirft.

Durch das Abschwächen des Grundlichts entstehen durch Seiten- und Auflicht starke, teils bizarre Schatten, die im Lauf der 1940er und 50er typisch für diese Filmströmung wurden.


  • Lichtquellen im Bild

Damit genügend Licht im Bild war, um die Figur/en für das Filmmaterial erkennbar zu machen, mussten notgedrungen Lichtquellen – Lampen, die stilmäßig zu dem jeweiligen Raum passten – neben oder hinter die Figur/en gestellt werden. So kamen auch erstmals jene Lichtquellen in Form von Lampen ins Bild, die zuvor höchstens Dekorationsgegenstände waren.

Dramatische Schatten ergaben sich auch, wenn die Lichtquellen (= Lampen) im Bild niedrig, d.h. unter der Augenhöhe der handelnden Figuren standen, etwa Schreibtischlampen oder niedrige Stehlampen – die so entstehenden Schatten scheinen besonders groß und übermächtig zu sein (z.B. das Arbeitszimmer des Mörders in „The Spiral Staircase“, 1945).
Die Lichtquellen im Bild sind meist Luster mit reflektierenden Glaskristallen (z.B. „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946) oder Stoffschirme, die beigefarben oder weiß sind und somit freundlich wirken.
In wenigen Fällen wird eine Steigerung der Dramatik erreicht, indem die Lampenschirme dunkel sind und nur einige wenige glühende Lichtstreifen auf Schreibtisch und Figur geworfen werden (z.B. „Black Angel“, 1946).


  • Einleuchtung von Personen 

Grundsätzlich gilt im film noir die Regel, dass Frauen ohne harte Schatten im Gesicht eingeleuchtet werden, meist sogar komplett ohne Schatten, statt dessen mit einem weichen, flächigen Licht.
Auf diese Art ausgeleuchtet haben die oft jungen film noir Darstellerinnen weder kleine Falten unter den Augen noch einen Nasenschatten, der die Nase betonen könnte, geschweige denn eine einzige, sichtbare Pore.
Teilweise wurden offenbar Kamerafilter („Weichzeichner“) verwendet, die das Licht stärker streuen als die Kameralinse und die Haut entsprechend makellos darstellen:

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Männer hingegen haben – vor allem in Dialogsituationen, wenn sie einer flächig und hell eingeleuchteten Frau gegenüberstehen – sehr wohl hellere und dunklere Stellen im Gesicht.
Ihre Falten, ob auf der Stirn (z.B. der Ehemann in „The Lady From Shanghai“, 1947, Abb. 60, oben), unter den Augen oder neben dem Mund, sind stets als feine bis dominante Linien zu erkennen, ihre Nase ist durch den Nasenschatten oft sehr markant, ihre Haut meist nicht so makellos, oft sieht man z.B., dass sie schwitzen.

Ein Schatteneffekt, den sich Männer und Frauen im film noir gleichermaßen teilen, ist der Schattenwurf der Wimpern, der beiden Gesichtern einen schrägen Strich neben die Augen malt.
Die künstlichen Wimpern der Frauen und auch die besonders langen Wimpern mancher männlicher Darsteller werfen diese Schatten offenbar, weil das Licht – auch wenn es im Film als weiche Licht-Schatten-Malerei empfunden wird – in Wirklichkeit sehr grell und hart ist.

In der Einleuchtung von Frauen gibt es allerdings Unterschiede, die scheinbar bewusst gesetzt werden, um Figuren zu charakterisieren bzw. ihnen eine Aura zu geben, die entweder rein und unschuldig (flächig und hell ausgeleuchtete sittsame (Ehe)Frauen) oder hochdramatisch (starke Schatten bei den femmes fatales) wirkt.
Allerdings bezieht sich diese schattenreiche Einleuchtung auf die gesamte Statur einer weiblichen Filmfigur in einem filmischen Raum, nicht nur auf ihr Gesicht.

Eine besondere Dramatik ergibt sich auch, wenn der Hintergrund eines Bildes normal beleuchtet ist, aber gleichzeitig für die im Bild befindlichen Figuren ein starkes Gegenlicht bildet, so dass diese nur mehr als schwarze Schatten zu sehen sind, deren Kontur von einem dünnen Lichtstreifen nachgezeichnet wird.
Z.B. Rita Hayworth und Orson Welles in „The Lady from Shanghai“ (1947) als sich heimlich treffende Silhouetten vor einem Aquarium, Abb. 61, oder Gilda im gleichnamigen Film (1946), als sie nach ihrem Auftritt einen Moment im Dunkel der Bühne steht, ehe der Applaus einsetzt, Abb. 62:

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Das Spiel mit der Wirkung des Lichts von vorne oder von hinten wird auch verwendet, um ein- und dieselbe Frau eines Films in zwei zeitlich nacheinander stattfindenden Szenen unterschiedlich zu charakterisieren:

Während Gilda sich zuerst in ihrem Schlafzimmer aufhält, trägt sie ein weißes Kleid mit wallenden Ärmeln, das im seitlich von hinten einfallenden Licht durchsichtig ist und ihre nackten Arme durchscheinen lässt – es entsteht der Eindruck eines fragilen, verletzlichen Engels, der geschützt werden muss (konterkariert nur durch die schwarze Lederpeitsche vom Faschingskostüm, die sie noch in der Hand hält).
Sie streitet mit ihrem früheren Liebhaber Johnny, den sie immer noch lieb. Während sie ihn beschimpft, nähert sie sich ihm, wobei ihr Kopf im Dunkel bleibt und nur ihre Augen glänzen – vor Begehren, so impliziert der daraufhin folgende, leidenschaftliche und von ihr ausgelöste Kuss (Abb. 63 a):

Bildschirmfoto 2014-05-31 um 18.06.30Wenige Szenen später ist sie die frisch angetraute Ehefrau des nun wieder erkalteten Johnny und erkennt, dass sie ihm in die Falle gegangen ist – und fortan nicht mehr im goldenen Käfig ihres alten, sondern ihres neuen Ehemanns ihr Dasein verbringen muss:
Das Licht trifft sie flächig von vorne, so dass ihre Augen (unterstützt durch Make Up) besonders zusammengezogen und sorgenvoll wirken.
Von ihrer Verführungskraft ist nichts mehr zu sehen, sie wirkt – auch aufgrund des hochgeschlossenen Kostüms, der Perlenkette und des schwarzen Gesichtsschleiers – wie eine komplett andere Figur; wie eine sittsame Ehefrau, in die Johnny sie durch seine Handlungen und die Filmemacher sie durch das Licht verwandelt haben (Abb. 63 b).

Eine weitere lichtgestützte Charakterisierung bietet der Film hinsichtlich des Archetyps des alten, mächtigen und gefährlichen Manns: Gildas Ehemann wird – als er die sich anbahnenden bzw. wieder aufbrechenden Gefühle zwischen seinem Untergebenen Johnny und seiner Ehefrau spürt – als an den Rand gedrängter Dritter im Bunde und als bedrohlicher Schatten gezeigt (Abb. 64 links):

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Sein Kopf befindet sich nicht mehr im Bild, seine Stimme ertönt aus dem Off. Sein Körper ist ohne Licht, eine schwarze Figur, die gerade durch diese kompromisslos lichtlose Darstellung ihre bedrohliche Wirkung zieht und damit aus sämtlichen films noirs hervorsticht .

Eine Variante dieses Effekts – starke, die Gesichtszüge verdeckende Schatten im Gesicht – findet sich im Film „The Spiral Staircase“ (1945) (Abb. 65, rechts):
Als der Mörder die stumme weibliche Hauptfigur über die Wendeltreppe der Bediensteten verfolgt, bewegt er sich durch extreme Schatten, die durch das schmiedeiserne Geländer entstehen.
In einem Moment der Ruhe blickt er ihr nach, sein Kopf ist nach oben gerichtet, sein Auge klar erkennbar, über seinem Mund liegt ein schwarzer Schatten.
Es ist auch sein Auge, das wir als erstes von ihm in einer frühen Einstellung im Film sehen. Die Pointe an dieser Licht- und Schattengestaltung liegt darin, dass seine Motivation, die stumme Hauptfigur zu ermorden, in deren Stummheit begründet ist – in dem Moment, als sie ihm entwischt und er ihr nachsieht (kurz, bevor er erschossen wird), ist auch er optisch ohne Mund im Bild zu sehen.


  • Licht und Schatten als Raumgestaltung

Um Wände und Decken in einer Filmeinstellung so zu gestalten, dass sie – und damit Teile der Einstellung – möglichst nicht leer sind, wird im film noir gezielt mit Schattenwürfen gearbeitet.

Die Qualität der Schatten ist dabei unterschiedlich, sie können weich und diffus sein, mehr Schleier als Schatten (z.B. in „Spellbound“ (1945), ein visuell freundlicher Film) oder hart und dramatisch, optische Drohungen und Bedrohungen (z.B. in „The Spiral Staircase“, 1945).

Da die Schatten an Wänden und Decken fast inflationär sind und vermutlich manchmal auch einfach aufgrund der damals so besonders hellen Scheinwerfer entstanden, scheint eine Trennung in bedeutungsvolle und bedeutungslose Schatten sinnvoll.

Bedeutungslose Schatten sind diejenigen von Menschen, die im hellen, seitliche einfallenden Licht neben einer weißen Wand gehen. Diese Schatten entstehen in der damaligen Studiobeleuchtung, sobald sich Figuren bewegen.
Diese Einstellungen zwischen einer sorgfältig eingerichteten Anfangs- und Endeinstellung wirken lange nicht so sorgsam komponiert und auch nicht, als hätte man hier Schatten zu einem besonderen Zweck erzeugt.
Auch die Schatten von Wandlampen sind immanent, haben aber so gut wie nie Bedeutung für die Handlung oder die Stimmung.

Bedeutungsvolle Schatten hingegen erhalten ihre Bedeutung aus ihrem Effekt für die Stimmung, selten für die Handlung, und ergeben sich meist aus speziellen Gegebenheiten des jeweiligen Filmortes: Am häufigsten sind die strengen Schatten von Jalousien (Abb. 66), gefolgt von Schatten von Fensterkreuzen und Treppengeländern oder Geländern im Gerichtssaal.

Sehr häufig sind neben den vertikalen Schatten von Jalousien (Abb. 66) auch die ornamentalen Schatten von einzelnen Blättern oder eines ganzen Astes voller Blätter – meist an einer Wand im Inneren eines Gebäudes (im Restaurant in „The Postman Always Rings Twice“ (1946), Abb. 67, oder im Casino in „To Have and Have Not“), manchmal auch außerhalb.

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Auch die Schatten von Menschen gegen Milchglastüren oder von Schriften, die auf Fenster geklebt sind und bei einfallendem Sonnenlicht an die Wand projiziert werden (bspw. der Name einer Detektei wie in „The Maltese Falcon“, 1941) sind häufig.

Schatten wurden aber auch eingesetzt, um die Zensur zu umgehen: In dem sehr frühen film noir „Stranger On The Third Floor“ (1940) wird in einer Traumsequenz der elektrische Stuhl nicht tatsächlich, sondern nur als sein (überdimensionaler) Schattenwurf gezeigt, da es laut production code verboten war, den elektrischen Stuhl zu zeigen – auch das Zeigen von Toten oder Arten zu töten war verboten, deshalb wird  das Finden einer erhängten Leiche im Farb-Noir in „Black Widow“ (1954), nur indirekt durch den Schattenwurf erzählt (Abb. 68):

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Handlungselemente, die zur Spannungssteigerung als „Schattentheater“ an der Wand gezeigt werden, finden sich ebenfalls immer wieder im film noir:
So geht in „Casablanca“ (1942) Humphrey Bogarts Figur in Begleitung eines Mannes ins Büro und dort aus dem Frame (Kamerabildrahmen) nach rechts hinaus. Der wartende Mann steht links im Bild, und während Humphrey Bogart den Bildrahmen eigentlich verlassen hat, ist er als Schatten auf der weißen Wand rechts im Bild zu sehen, wie er Geld aus einem Safe nimmt (Abb. 69).

Unklar ist, ob der wartende Mann diesen Schatten und damit Bogarts Handlung sieht, weil sein Blick nicht auf die Wand gerichtet ist, oder ob er Bogart außerhalb des Frames zusieht. Spannender als das Abfilmen der eigentlichen Tätigkeit ist es auf jeden Fall.


  • Licht zur Lenkung der Aufmerksamkeit

Licht lenkt das Auge einer FilmbetrachterIn – das Auge sucht nach der hellsten Stelle im Filmbild und beginnt von dort seine Abtastung zu den zweit- und dritthellsten Stellen (vgl. der Tableau-Stil der ersten Jahrzehnte des Filmemachens in BORDWELL 2012, 2, vgl. die genauen Analysen zur Lenkung des Blicks mithilfe von Licht in MIKUNDA 2002, 68f).
Als FilmemacherIn kann man dieses Wissen dazu verwenden, den Blick des Publikums zu lenken – auf Objekte oder Figuren, die man in einem Raum oder einer Figurenkonstellation hervorheben möchte.

Licht wird im film noir beispielsweise gerne dazu verwendet, (gemeinsam mit Kostüm) die sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale (Brust) zu modellieren.
Licht dient auch in anderen Fällen dazu, die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Stelle im Bild zu lenken – die hervorstechendsten Beispiele sind das Bild einer angedeuteten kopflosen Frau (deren Körper beleuchtet im glänzenden Abendkleid auf dem Bett liegt und darauf wartet, von ihrem mächtigen Ehemann den Zipp aufgezogen zu bekommen) in „Gilda“ (1946) oder in „The Spiral Staircase“ (1945) das durch das Licht prominent ins Bild gesetzte Auge des Mörders, der auf sein Opfer lauert bzw. dieses mit dem Auge verfolgt (wie bereits beschrieben).


  • Licht in Nachtaufnahmen

Lichtgestaltung spielt auch in Nachtaufnahmen eine Rolle.
Das im film noir beliebte „Day for Night“-Verfahren bedeutet, Außenaufnahmen, die bei Nacht spielen sollen, zu Mittag zu drehen, wenn die Schatten, die die Figuren auf den Boden werfen, am geringsten, im Optimalfall nicht vorhanden sind.
Nimmt man zu dieser Zeit mit einer besonders hohen Belichtungszeit auf, erscheinen die Bilder am Filmmaterial dennoch sehr dunkel – die Personen im Bild und auch die Umgebung sind aber trotzdem gut erkennbar. Auf diese Weise ersparte man sich das zeit- und kostenintensive Ausleuchten von Totalen.

Im Film „The Postman Always Rings Twice“ (1946) sieht man das Pärchen, wie es sich um Mitternacht am Strand vergnügt – und in manchen Einstellungen deutliche Schatten wirft, die das Verfahren verraten (Abb. 70, links):

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Auch im Film „Notorious“ (1946), als Ingrid Bergmann in einer Limousine vor einer Villa am See vorfährt, in dem sich das scheinbare Mondlicht spiegelt, erkennt man, dass die Limousine grau und nicht schwarz ist (wie sie in der Nacht sein müsste) und dass die tiefen Schatten von Ästen am Rasen in der linken Bildhälfte zu intensiv und kontrastreich für Mondlicht sind (solche Schatten entstehen in der gleißenden Mittagssonne, Abb. 71, rechts).

Außenaufnahmen, die tatsächlich nachts gedreht werden (erkennbar an den weißen Lichtern von Hochhausfenstern im Hintergrund oder an den Straßenlaternen sowie an den fehlenden Schatten der Figuren), werden fast immer im Regen oder zumindest auf nassen Straßen gedreht.
Der Grund dafür ist naheliegend: Für das nicht besonders empfindliche Filmmaterial benötigte man viel Licht, damit Personen und Umgebung klar zu erkennen sind.
Regen und Wasser reflektieren das Licht und lassen die Szenerie darum heller scheinen, als sie sonst am Filmmaterial abgebildet werden würde. Auch Autos, die durch den Regen fahren, erhalten glänzende Konturen, was zur Illusion der Tiefe eines an sich zweidimensionalen, flachen Kinobildes beiträgt.


  • Accessoires der Lichtgestaltung

Nicht nur in Nachtaufnahmen spielt Wasser am Boden oder Regentropfen eine dramaturgische Rolle: Auch untertags, wenn auch in düsterem Licht, wird gerne mit Nässe und den dadurch entstehenden Lichtreflexionen gespielt (z.B. „Casablanca“, 1942). Wird der Regen so eingeleuchtet, dass er als hellgraue Striche durchs Bild läuft, hilft er mit, ein Bild dynamisch aufzuladen, aber auch, es einzuleuchten:

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Der Regen in „Casablanca“ (1942), als Rick am Bahnhof steht (Abb. 72, links), ist ein senkrecht fallender, sehr heftiger Regen, der die Ungemütlichkeit in Paris unterstreicht, die durch den Einmarsch der Nationalsozialisten entsteht und der auch für den Effekt der zerfließenden Schrift auf Ilsas Abschiedsbrief verantwortlich ist.
Der Regen ist so heftig, dass er von Humphrey Bogarts Hutkrempe förmlich abspringt, die Heftigkeit ist glaubwürdig genug, um die Komparserie im Hintergrund so zur Eile anzutreiben und sämtliche im Bild vorhandenen Trenchcoats nass zu machen. Alles in dieser Bilderfolge ist spannender, weil es regnet.
Der Regen am Anfang von „The Spiral Staircase“ (1945) ist anders (Abb. 73, rechts); hier fällt er schräg (von rechts nach links) und dient vor allem dazu, die totalen Einstellungen, die sehr dunkel sind, mit den regelmäßigen grauen Strichen, die durchs Bild laufen, aufzuhellen.
So wird außerdem ein Vordergrund geschaffen, der zusätzliche Bewegung suggeriert. Indem die Hauptfigur im Bild nach rechts – also gegen den Regen – läuft, entsteht weitere Spannung.

Das Mittel, um einem Filmbild oder auch einem Raum die räumliche Tiefe zu nehmen, ist Nebel: Das Licht wird durch den Nebel aufgespalten und in alle Richtungen gleich reflektiert, wodurch der schwimmende, nebelige Eindruck entsteht. Nebel (aus Nebelmaschinen) wird in films noirs vermutlich deswegen selten verwendet.
Eine Ausnahme stellt „Casablanca“ (1942) dar, in dessen Endeinstellung Ingrid Bergmanns Figur und ihr Ehemann durch den Nebel zum Flugzeug gehen und wenig später Humphrey Bogarts Figur und der Captain das Flugfeld verlassen und im Nebel verschwinden (Abb. 74):

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Die Entscheidung, einen so ausufernden Nebel zu verwenden, wird vermutlich aus einem beleuchtungstechnischen Grund gefallen sein:
Der Nebel hellt den Hintergrund auf. Ohne Nebel wären die Figuren vor einem völlig schwarzen Hintergrund gestanden.
Der Eindruck von Tiefe entsteht durch einige große Lichtpunkte im Nebel, die scheinbar von weit entfernten Scheinwerfern kommen.
Der Nebel verbirgt auch, was sich dahinter befindet: Es könnte sich genauso gut um ein Studiogelände handeln, wo die Ecke eines Hangars aufgebaut und eine kleine Propellermaschine hingestellt wurde.
Selbstverständlich eignet sich dieser Nebel auch hervorragend zu dramaturgischen Deutungen: Alle Figuren bewegen sich in den Nebel hinein (selbst das Flugzeug), so als gingen sie in eine unsichere, nicht zu erkennende Zukunft – ihr Weg liegt unklar vor ihnen, die Zukunft der im Krieg untergehenden Welt ist verschwommen und ungewiss.

Ein weiteres, sehr nützliches Accessoire der Lichtgestaltung ist Rauch – und zwar fast immer der Rauch von Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen oder der aus dem Mund geblasene, selten, aber auch, der aus einem heißen Kaffee- oder Teebecher hochsteigende Rauch.
Dieser hat ebenfalls eine nebelhafte (das Licht streuende, unscharf machende) Wirkung, die aber im Filmbild viel weniger Platz einnimmt, und darum häufiger vorkommt (Abb. 75, oben rechts).
Rauch erzeugt durch seine Bewegung (das Aufsteigen, das Sich-Kräuseln) eine Dynamik im Bild, die meist in halbnahen Einstellungen verwendet wird (in einer Totale ist der Rauch meistens zu klein, in Großaufnahmen hat er eine stark nebelige Wirkung).
Eine Ausnahme bildet der Rauch von Autoabgasen (wie z.B. in „Shadow Of A Doubt“, 1943), der raumfüllend ist und ausschließlich die visuelle Bedrohung, das Verschwinden der einatembaren Luft, darstellen soll.


  • Lichtpunkte und Lichtreflexionen

Lichtreflexionen werden generell im film noir häufig eingesetzt, weil sie den Eindruck räumlicher Tiefe erwirken, was wiederum die Illusion des Films verstärkt und – ähnlich wie heute 3D – das Gefühl erweckt, der Film sei real.
Außerdem entsteht der Eindruck von besonderem Luxus oder eines Hochglanzfilms, ähnlich wie bei Hochglanzillustrierten, die alleine durch ihr glänzendes Papier scheinbar an Qualität gewinnen.

Reflexionen entstehen durch die Inszenierung von Schweiß oder Tränen auf den Gesichtern von Filmfiguren. Ansonsten trocken gepuderte Gesichter gewinnen an Ausdruck, wenn Wangen und Stirn feucht glänzen – es schwitzen im film noir allerdings nur die Männer.
Frauen haben dafür Tränen in den Augen, seltener auch auf den Wangen. Diese zusätzlichen Reflexionen in den Augen wirken besonders dramatisch (Gene Tierney in „Laura“, 1944, Abb. 76). Manchmal werden diese auch durch besonders starkes Licht hervorgerufen und verleihen der Darstellerin „glühenden Augen“ – ob sie nun vor Hass glühen sollen (wie Lana Turners Augen in „The Postman Always Rings Twice“ (1946), als sie ihren Erpresser mit seiner eigenen Waffe bedroht) oder vor Wahn (wie Joan Crawfords Augen in „Possessed“).

Dieses Licht ist eine Art gesteigertes Augenlicht; das normale Augenlicht wird fast immer eingesetzt, um die Augen von handelnden Figuren schimmern zu lassen – genauso wie in der Malerei macht das auch die Augen von Filmfiguren lebendig. Bei „bösen“ Figuren fehlt das Augenlicht und die Augen scheinen ausdruckslos und gemein (vgl. Abb. 77: die dunklen Augen der Erpresserin, die am Filmanfang in „Black Angel“ (1946) einem Mord zum Opfer fällt oder die dunklen Augen der Ehefrau in „The Blue Dahlia“ (1946), die den Unfalltod des Sohnes verschuldet hat, s. Abb. 77).

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Ähnlich liegt der Fall bei der vorhin beschriebenen Szenenabfolge von „Gilda“ (1946) als die Verführerin mit vielversprechend glänzenden Augen und später als gebrochene Ehefrau mit totem (= lichtlosen) Blick.

Zusätzlich zum Augenlicht gibt es in nahen Einstellungen oft eine Art dritten Lichtpunkt: Neben den Augen erglänzt auch noch ein Ohrring und zieht das Auge an.
Diese Inszenierung der Lichtpunkte, die das Auge bei der Betrachtung eines Frauenkopfes leiten soll, steht in einer langen Tradition – schon bei dem Gemälde „Mädchen mit dem Perlenohrring“ (Abb. 78) wird genau auf diese visuelle Konstellation von Lichtreflexionen (Augenlicht und Reflexion im Ohrring) verwiesen (vgl. Abb. 79 und 80):

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Mit solchen Lichtreflexionen, die sich auch anlässlich einer Kette, eines Armbands, einer Haarspange, eines Rings oder einer Brosche bilden können, oder auch mit Lichtpunkten, wie sie glimmende Zigaretten oder kurz angeknipste Feuerzeuge liefern, werden aufregende Bilder gestaltet, die das Abtasten für das Auge spannend machen (vgl. MIKUNDA 2002, 25ff).


  • Grafische Gestaltung

Durch die limitierte Farbgestaltung (Weiß-Grau-Schwarz) gewinnt im film noir die grafische Gestaltung, also die Gestaltung der unterschiedlichen hellen oder dunklen Elemente in einer Einstellung, an Bedeutung – in den wenigen Versuchen, film noir auf Farbfilmmaterial zu drehen, gelingt dies kaum.

Die häufigsten, absichtlich gesetzten und durchs Bild gelenkten Schatten sind die horizontalen, die durch eine Jalousie entstehen.
Oft laufen diese horizontalen Schatten auch über die Kleidung einer Figur, wenn diese so steht, dass sie getroffen wird (was fast unvermeidbar ist) oder auf der Wand hinter der Figur, so dass diese manchmal von einem Schatten „geköpft“ wird.
Meist ist der Schatten von einem so hellen Grau, dass dies nicht weiter auffällt (z.B. in „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946, Abb. 81):

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In „Gilda“ (1946) hingegen passt der dunkle Schatten über ihrem Kopf auch dramaturgisch: Sie ist in diesem Film vor allem als weiblicher Körper und damit als Objekt männlichen Begehrens inszeniert und sie löst kopfloses Begehren im Protagonisten aus (Abb. 82, rechts oben).

Dramatischer, weil strenger wirken vertikal fallende Schatten wie z.B. von Treppengeländern oder Fensterfassungen (vertikal im Gefängnis oder kreuzförmig).
Ornamentale Schatten (z.B. von Blättern oder Ästen mit Blättern oder auch Schriften) haben eine weniger dramatische Wirkung; sie sind eher nur schmückende Elemente, die z.B. erkennen lassen, in welcher Umwelt der Filmraum (der natürlich im Studio gebaut ist) stehen soll (z.B. in der freien Natur oder in einer von Straßenlaternen beleuchteten Straße einer Stadt).

Doppelt streng und bereits sehr grafisch wirken Einstellungen, die sowohl horizontale als auch vertikale tiefschwarze Schatten haben, die sich womöglich im Bild kreuzen:

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Oft sind das die horizontalen Schatten von Jalousien und die vertikalen Streifen im weiblichen Kostüm (Abb. 83: „Laura“, 1944, Abb. 84: „Fallen Angel“, 1945), aber auch horizontale Schatten von Jalousien und vertikale spitze Schatten von Palmwedeln (z.B. „Double Indemnity“, 1944). So entsteht ein fast schon abstrakter Gitter- oder Käfigeffekt, der sich über das gesamte Bild legt.

In der dramatischen Wirkung stärker sind nur noch Diagonalen, die besonders durch schräg durchs Bild laufende Treppengeländer entstehen (bspw. in „The Spiral Staircase“, 1945, oder „Shadow Of a Doubt“, 1943). Auch schräg fallende Vorhänge oder einfahrende Züge („Shadow Of a Doubt“, 1943) oder schräg nach oben gerichtete Gewehre („Road House“, 1948) bilden eine Diagonale und haben eine spannungssteigernde Wirkung auf das Bild.


  • Atmosphäre

Sowohl mit Licht als auch mit Bildgestaltung gelang den Filmschaffenden das Herstellen einer eigenen Atmosphäre.
Diese war ihnen wichtiger als das Zeigen oder Filmen eines realistisch anmutenden Bildes (vgl. PORFIRIO 2001), was ihre Seelenverwandtschaft zum Expressionismus und insbesondere zu Filmen aus der französischen Zwischenkriegszeit aufzeigt.

Für die Atmosphäre des Films ist es wichtig, den Verlauf der Geschichte in die Gesamtgestaltung des Lichts miteinzubeziehen:
So gibt es Filme, die durchgehend eher weiche und diffuse Schatten haben und eher nicht kontrastreich eingeleuchtet sind (z.B. „Spellbound“ (1945).
Andererseits gibt es Filme, die sehr hart und kontrastreich geleuchtet sind und dadurch besonders düster, tragisch oder schwer wirken („Fallen Angel“, 1945).

Filme, in denen ein Charakter eine wesentliche Änderung durchläuft, können dies durch eine Verdüsterung oder Aufhellung der Atmosphäre zeigen:
So sind z.B. die Bilder am Anfang der Rückblende in „Mildred Pierce“ (1945) hell und freundlich, sie spielen bei Tag, noch ist die Welt in Ordnung. Bald schon beginnt sie auseinander zu brechen, Mildred geht Risiken ein, vernachlässigt ihre Familie, ihre jüngere Tochter stirbt: Gegen Ende des Films spielen die Szenen bei Nacht, düstere Schatten umzingeln Mildred und ihre Tochter, als diese Mildreds Ehemann erschießt.

nächstes Kapitel: ÄSTHETIK: Noir und Farbe

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