3.11 Staging

Kapitelübersicht:

a) Augenhöhe
b) Körperhaltung
c) Varianten des Staging:
Eine Person im Bild
Zwei Personen im Bild
Drei Personen im Bild
Vier oder fünf Personen im Bild
Gruppe im Bild


Der Begriff „Staging“ kommt aus dem Amerikanischen und betrifft die Arbeit der Regie mit den SchauspielerInnen im Verlauf der Proben. Dabei werden die Szenen durchgespielt und die jeweilige Position der Figur zu der/den anderen Figuren festgelegt.
Es handelt sich um dieselbe Probenarbeit wie am Theater (wie stehen die Figuren auf der Bühne?), nur adaptiert für Film, weil zu bedenken ist, welchen Einschränkungen die Kamera unterliegt (z.B. Tiefenschärfe) und wie sich das auf Staging und Spiel der Figuren auswirkt.

Bevor Figuren Plätze im Raum zugeordnet werden können, die sie im Verlauf einer Szene einnehmen, gilt es, die Machtverhältnisse zwischen den Figuren aus dem Drehbuch zu extrahieren und in die räumliche Position der Figuren zueinander zu übertragen.



a) Augenhöhe
Um die impliziten Machtverhältnisse in die Inszenierung zu übernehmen, dürften sich die Noir-Filmemacher häufig die folgende Frage gestellt haben: Wer schaut zu wem auf?
Das gilt in übertragener wie auch in realer Hinsicht. Männer sind (bis auf Peter Lorre) meist größer als ihre Filmpartnerinnen und tendieren dazu, in einem Dialog auf diese herabzublicken.
Um ein umgedrehtes Machtverhältnis zu implizieren, muss sich die männliche Filmfigur z.B. setzen, während die weibliche stehen bleibt (z.B. „Laura“, 1944).

Durch die Körpersprache kann aber auch bei einer umgekehrten Situation (ein Mann und eine Frau, die stehen und ein Detektiv, der sitzt, in „Laura“, 1944) klar werden, wer hier etwas von wem will:
Die beiden stehenden Figuren warten auf Antwort des sitzenden Detektivs, der sie ihnen nicht gibt, sie deshalb auch nicht ansieht. Ihre Blicke sowie ihre Körpersprache geben dem Sitzenden die Macht in dieser Szene:

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b) Körperhaltung
Im film noir gibt es vier Möglichkeiten, welche Haltung die Filmfiguren einnehmen können:

  • Stehen
  • Lehnen (an einer Bar oder einer Theke)
  • Sitzen (am Tisch oder am Klavier)
  • oder Liegen (am Bett).

Das Stehen spiegelt grundsätzich eher den höchsten Status wider, das Liegen eher den niedrigsten.


c) Varianten des Staging
Abhängig davon, wie viele Personen im Bild sind, wird im Film Noir üblicherweise auf folgende Varianten für das Staging zurückgegriffen:


Ist eine Person im Bild, so sitzt diese meistens und liest dabei, blickt auf ein Papier oder schreibt etwas – wahlweise sitzt sie an einem Tisch oder im Fauteuil, häufig neben einer Lampe.

Das trifft sowohl auf Filmfiguren zu, die sich alleine im Filmraum befinden, als auch auf solche, die außerhalb des Bildes, aber im Filmraum einen Gesprächspartner haben.

Ist das der Fall, ist die Figur nicht mittig, sondern leicht seitlich der Bildmitte und hat in die Richtung ihrer Nase bzw. ihrer Augen etwas mehr „Luft“ (= filmischen Raum). Dies impliziert, dass in dieser Richtung der Gesprächspartner steht, den man momentan nicht im Bild sieht, sondern nur aus dem Off hört.


Die sogenannten „Two Shots“ sind im Film Noir sehr häufig – weitaus häufiger als heute:
Während in den Filmen der jüngeren Zeit Dialogszenen sehr oft beim Dreh und beim Schnitt in Einzelaufnahmen zerhackt werden, herrscht im film noir die Konvention vor, zwei SchauspielerInnen im Bild zu zeigen und sie beim Spielen zu beobachten (freilich konnten diese das damals auch noch).
Die Unterteilung eines Dialogs mittels Schnitte wird selten eingesetzt und eher dann, wenn sich die Figuren bewegen, die Kamera ihnen folgt und dabei eine neue Einstellung mittels Schnitt verwendet wird.

Sind zwei Personen im Bild, wird im Film Noir meist eine der folgenden vier Möglichkeiten gebraucht, um diese ins Bild zu setzen:

Eine der Filmfiguren ist im Profil, die andere frontal (Abb. 25).
Dies ist meist die emotional wichtigere Figur, da das Publikum mehr von ihren Augen und ihrem Gesicht sieht und sich darum emotional in diese Figur besser einfühlen kann.
Das Publikum fühlt zur Figur im Profil eher Distanz und zur frontalen Figur eher emotionale Nähe.
Die Figur im Profil kann später in einem Gegenschuss gezeigt werden oder sich durch eine Drehung so bewegen, dass ihr die Kamera folgen muss und ein anderes Bild zustande kommt.

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Die beiden Filmfiguren sind schräg zueinander gedreht (Abb. 26).
(Die Figuren stehen hier meist im 90° Winkel zueinander). Dabei steht oft eine eher frontal und die andere eher etwas seitlich.
Hierbei sind sie einander zugewandt, der Eindruck von Balance entsteht dadurch, dass von beiden Gesichtern ungefähr gleich viel zu sehen ist und die emotionale Einfühlung bei beiden möglich ist:

Bildschirmfoto 2014-05-31 um 15.21.22

Die beiden Filmfiguren gehen/stehen nebeneinander (Abb. 27) bspw. an einer Bar. Meist sind beide Gesichter gut zu erkennen, wenn auch nicht ganz frontal. Es entsteht der Eindruck, als stünden die so gestellten Figuren auf derselben Seite:

Bildschirmfoto 2014-05-31 um 15.19.22

Die beiden Filmfiguren stehen sich gegenüber (Abb. 28) die sogenannte Kampf- oder Kusseinstellung. Hier wird eine spannungsgeladene Konfrontation inszeniert, die in der Enge eines „Two Shots“ besondere Spannung gewinnt.
Die Nasen der Figuren sind sich womöglich näher, als dieses sein wollen; der Drang, entweder zu flüchten oder im nächsten Moment in den Angriff überzugehen, ist übermächtig.
Diese Spannung überträgt sich durch die entstehenden Diagonalen im Bild auf das Publikum (besonders zwischen unterschiedlich großen Filmfiguren, wie Mann und Frau, wo sie hoch- und er herunterblicken muss, oft stehen die Figuren so, kurz bevor sie sich küssen, z.B. Abb. 28: „Spellbound“, 1945):

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Sind drei Personen im Bild zu inszenieren, gibt es drei Möglichkeiten, das Staging von zwei Personen zu erweitern:

Zwei Personen stehen nebeneinander und die dritte Figur steht ihnen gegenüber (z.B. der betrogene Ehemann als bedrohlicher Schatten in „Gilda“, 1946).

Alle drei Figuren stehen nebeneinander in einer Reihe (meist beim Schuss-Gegenschuss-Verfahren eingesetzt).

Eine Figur steht mittig und wird von den anderen beiden Figuren eingerahmt (ähnlich zu Abb. 26 und 27). Im diesem Fall ist die mittig stehende Figur diejenige, die frontal steht und mit der die größte emotionale Einfühlung möglich wird. Die beiden anderen Figuren stehen entweder mit dem Rücken oder dem Profil zum Publikum und wirken darum distanzierter.
Klassisch ist dieses Staging bei Dreiecksgeschichten, bei denen die Frau dramaturgisch und visuell „zwischen den Männern“ steht (Abb. 29 und 30):

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Je mehr Personen ins Bild kommen, um so wichtiger wird die durch die Handlung in der Szene vorgegebene Blickrichtung.
Sind vier oder fünf Personen in einem Bild unterzubringen, findet meist eine strenge Hierarchisierung statt: Es gibt klar eine wichtige Person, die mit ihrem Blick oder ihren Worten die Szene dominiert, gefolgt von einer zweitwichtigen.
Die anderen Personen werden durch ihren fehlenden Text zur Staffage degradiert und füllen das Bild aus (z.B. mehrere Detektive tummeln sich um einen übergeordneten Polizeibeamten, der für Ruhe und Ordnung sorgen muss, „Where The Sidewalk Ends“, 1950).

Interessant sind jene Einstellungen, deren sorgsame Komposition und Staging auch als Filmstandbild sprechend sind:
So die Szene in „The Spiral Staircase“ (1945), als am Bett der danieder liegenden, kranken, alten Mutter (die in die eine Richtung blickt) ihre beiden Söhne, das stumme Dienstmädchen und die Sekretärin versammelt sind (die alle in die andere Richtung, nämlich die der Mutter blicken, Abb. 31):

Bildschirmfoto 2014-05-31 um 15.31.18
Das Dienstmädchen steht der Mutter am nächsten – sie ist auch die wichtigste Bezugsperson, sie ist die Protagonisten des Films und sie ist diejenige, die vom Mörder gejagt wird.
Der Mörder steht neben dem Dienstmädchen, es ist der eine, scheinbar gesetztere Sohn. Sein Gesicht ist halb zur Mutter gedreht, dennoch ist es von allen Gesichtern am frontalsten – und es ist auch das am hellsten beleuchtete. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf sein Gesicht. Sein Körper nimmt auch am meisten Bildfläche ein und wirkt breit und dominant, wie “der Mann im Hause”.
Die Sekretärin steht am linken äußersten Bildrand, sie ist für die spätere Handlung nicht weiter wichtig, dementsprechend wird sie bald umgebracht.
Der zweite Sohn steht mit dem Rücken zum Publikum, von seinem Gesicht sehen wir nichts. Er ist ebenfalls unwichtig und wird im Laufe der Handlung in den Keller gesperrt, weshalb er kaum mehr vorkommt. Weil wir sein Gesicht nicht sehen und sein Körper dominant im Bild steht, wirkt das Bild spannend.
Der Fokus des Bildes liegt jedoch klar auf der Mutter, dem Mörder und dem Dienstmädchen.


Gruppen im Bild sind im Prinzip bildgestalterische Elemente, aber unwichtig für die Handlung. Typisch für film noir sind Gruppen in Form eines Publikums, das in eine Richtung (z.B. die Bühne) sieht.
Die Hervorhebung der für die Handlung relevanten Filmfiguren geschieht über Kostüm und Licht:
So wird eine Frau in einer Gruppe Männer mit schwarzen Smokings durch ein weißes Kleid hervorgehoben (Abb. 32: „Gilda“, 1946) – oder genau umgekehrt:
inmitten einer Gruppe Männer in weißen Uniformen trägt Lauren Bacall ein schwarzes Kleid (Abb. 33: „To Have and To Have Not“, 1944):

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nächstes Kapitel: INSZENIERUNG: Räume

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