3.3 Männer und Frauen

a) Körpersprache (Stand, Größe, Raum nehmen, Bewegung, Kostüm)
b) Geschlechterspezifische Handlungszuschreibungen
c) Geschlechterspezifische Emotionszuschreibungen

Insgesamt gilt, dass Filmfiguren sowohl durch Kostüm und Sprache, aber auch besonders durch ihre Handlungen charakterisiert werden. Je mehr Handlungen sie setzen, desto aktiver wirken sie.
Meistens ist es in Filmen eher so, dass Gender und Ethnizität sich positiv auf die Aktivität auswirken, d.h. weiße Männer werden als am aktivsten dargestellt und sind als im film noir inszenierte Hauptfiguren statistisch in der Mehrzahl.

a) Körpersprache

  • Stand
    Interessant ist die Körpersprache der Film Noir Figuren – schon der Stand bzw. die Art zu stehen verrät etwas über die Figuren und viel über die Rollenvorgaben dieser Zeit:
    Männer stehen eher ausbalanciert da, die Füße fest am Boden, sie wirken stabil – kein Wunder, sie tragen auch flache Schuhe und keine engen Röcke.
    Frauen neigen dazu, schief zu stehen oder zu sitzen – oft hat das damit zu tun, dass sie ein Bein geknickt haben (ganz wie das Spielbein von antiken Statuen), und nur auf einem Bein stehen oder dass sie sehr hohe Schuhe anhaben, mit denen auch ihr Gang entsprechend fragil wirkt. (Vgl. Joan Crawford in „Possessed“ – sie steigt in hohen Absätzen aus einem schaukelnden Boot und geht einen Felsweg entlang, oder Lana Turner in „The Postman Always Rings Twice“, 1946, die ständig auf sehr hohen Absätzen unterwegs ist, ob auf der Landstraße, wo sie dann logischerweise auch in den Graben stürzt, als ein Auto zu schnell an ihr vorbeifährt oder ob im Gefängnis, als sie Runden um ihren Partner im Rollstuhl dreht).
  • Größe
    Aus der Körpergröße der meisten SchauspielerInnen ergibt sich, dass die Frauen im Film Noir normalerweise zu den Männern aufblicken, was teils durch die Körpersprache der Frauen verstärkt wird (gesenktes Kinn, Blick nach oben, typisch z.B. für Lauren Bacall).
  • Raum einnehmen
    Während Männer auf Fauteuils oder Couches breitbeinig sitzen und Raum einnehmen, stehen Frauen schmal in einer Ecke oder sitzen instabil und wenig Platz einnehmend auf der Fauteuillehne (vgl. Olivia de Havilland in „The Dark Mirror“, 1946, oder Barbara Stanwyck in „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946, wo sie eigentlich die starke, fatalistisch angehauchte Frau spielt).
  • Bewegung
    Während Männer sich eher geradlinig bewegen und sich z.B. einfach umdrehen, um aus dem Bild zu gehen, tendieren Frauen dazu, solche Abgänge mit besonderen Blicken und schwungvollen Kopfbewegungen zu kombinieren. Das wirkt theatralisch und erinnert an den deutschen Expressionismus.
  • Determiniert die Körpersprache: das Kostüm
    Tatsächlich hängt es vom Kostüm ab, inwieweit sich ein/e SchauspielerIn bewegen bzw. Raum einnehmen kann:
    Das Kostüm verändert die Körpersprache; je enger ein Kleid ist, um so eingeschnürter ist im wörtlichen Sinn auch die Bewegungsfreiheit. Bei tiefen Ausschnitten müssen sich die als femmes fatales inszenierten Frauen vorsichtiger bewegen; tragen sie hohe Absätze, sind ihre Schritte klein, ihre Bewegungen bewusster, da sich ihr Körperschwerpunkt verlagert. Es sind tatsächlich Schuhe und BH, die die Beweglichkeit bzw. die Körpersprache von Frauen im Film Noir bestimmen: flache Schuhe, enger bzw. festhaltender BH garantieren größere Bewegungsfreiheit und ermöglichen damit ein anderes Spiel.
    Die Männer im film noir sind auch fast immer angezogen – sie sind fast nie in Badehose oder ohne Hemd zu sehen (Ausnahme: „Road House“, 1948,).
    Die Geradlinigkeit bzw. Lockerheit der Film-Noir-Männer liegt zu einem Großteil auch in ihrem Kostüm begründet: Sie tragen eher locker fallende Anzüge; auch wenn die Hemden eingestrickt und oftmals einen Gürtel beim Outfit dabei ist.
    Da Frauen durch die Enge ihrer Kostüme (auch die “braven Ehefrauen” in oftmals hochgeschlossenen Kleidern) oder auch durch das Fehlen eines BHs (vgl. Gilda in “Gilda”, 1945) in ihrer Beweglichkeit eher eingeschränkt sind, bleiben ihnen eher kleinere, sehr bewusst ausgeführte körperliche Bewegungen und umso ausdrucksstärkere Bewegungen ihrer Augen zum Spielen.
    Frauen laufen so gut wie nie in im Film Noir, schon vom Kostüm her könnten sie das auch nicht (Ausnahme: Die Frau zu Beginn von “Kiss Me Deadly”, 1955, aber sie ist barfuß und trägt einen Trenchcoat).
    Schlägereien sind Männern überlassen, die dank ihres nicht enganliegenden Hemdes auch tatsächlich mit dem Arm so weit ausholen können, dass sie zuschlagen können.
    Wenn Frauen ausholende Bewegungen machen, tragen sie ein entsprechendes Kostüm, z.B. Rock, ein eng anliegendes Oberteil (sprich: darunter ein festsitzender BH) und flache Schuhe (vgl. Ida Lupino beim Bowling in “Roadhouse”, 1948).



b) Geschlechterspezifische Handlungszuschreibungen

Im Verlauf vieler films noirs kommt es zu geschlechterspezifischen Handlungszuschreibungen, die in vielen Filmen sehr ähnlich sind:

  • Ordnung im Haus
    Eine Frau betritt das Haus eines Mannes und macht Ordnung (z.B. in „Desert Fury“, 1947) oder sie wird durch Hochzeit die Frau des Hauses (das im Besitz des Mannes ist) und ist dafür verantwortlich, dass im Haus Ordnung herrscht (z.B. in „Secret Beyond The Door“, 1947).
  • Familieneinkommen
    Für den Erhalt der gesamten Familie sind fast überwiegend die Männer zuständig (z.B. “Shadow of a Doubt”, 1943), meistens sind es die Väter, manchmal auch die Söhne (z.B. “Sweet Smell Of Success”).
    Eher selten handelt es sich um eine Frau, die die Familie erhält (“The Strange Love Of Martha Ivers”, 1946) – und hier ist ihr Ehemann Alkoholiker; einerseits wegen eines furchtbaren Vorfalls in der Vergangenheit, den er nicht vergessen kann, andererseits aber auch – so wird zumindest angedeutet – weil er an seiner starken, wenn nicht sogar dominanten Frau leidet; er als Mann in diesem Haushalt wird von ihr nicht geliebt und er kann nicht das Einkommen liefern, er ist im Grunde genommen obsolet.
  • Getränke / Essen servieren
    (Ehe)Frauen (oder männliche Butler) bringen oft Tablett mit Getränken/Essen oder bieten dem männlichen Protagonisten etwas an („Dark Mirror“, 1946, „The Big Heat“, 1953, „Kiss Of Death“, 1947, „Mildred Pierce“, 1945).
    Männer bieten eher Alkohol an (vgl. „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946 – Van Heflin und Lizabeth Scott im Hotelzimmer).
  • Sexuelle Aufmerksamkeit
    Frauen sind hübsch angezogen, geschminkt und frisiert bzw. machen sich hübsch (etliche Szenen mit Haare bürsten oder Nase pudern, vgl. „Laura“, 1944), denn Frauen sind dann weiblich und begehrenswert, wenn sie entweder sexy, d.h. in ausgeschnittenen Kleidern oder mit Beinschlitz oder in eng anliegenden Kleidern (dann bekommen sie die Aufmerksamkeit von Männern, vgl. „Gilda“, 1946, „Laura“, 1944) oder brav, ordentlich, nett, hilfsbereit („Fallen Angel“, 1945, „The Big Clock“, 1948), tolle, begehrenswerte Frauen bewegen sich außerdem sexy und lasziv („Gilda“, 1946), Singen trägt zur Begehrenswertheit bei („Roadhouse“, 1948, „Gilda“, 1946).
  • Liebe und sexuelle Anziehungskraft
    Frauen lieben eher den Mann, der sie ekelhaft behandelt, verletzt oder töten will („The Glass Key“, 1942, „Lady In The Lake“, 1947, „The Big Heat“, 1953).
    Manchmal ist es auch notwendig, dass sie ihn – obwohl er sie scheinbar oder tatsächlich töten möchte – durch den Einsatz von Psychotherapie (Rückführung zum ursprünglichen Trauma) “heilt”, damit er sie vollständig zurücklieben bzw. ihr im Gegenzug ebenfalls das Leben retten kann (“Spellbound”, 1946, oder “Secret Beyond The Door”, 1947, auf die Spitze getrieben in der Konfrontationsszene bei Min. 1:26:40.)
    Männer lieben eher die Frau, die sie fasziniert, weil sie verbal/intellektuell gleich stark oder überlegen ist (z.B. „Double Indemnity“, 1944, die Bogart-Bacall-Filme) und körperliches Begehren in ihnen auslöst (z.B. „Gilda“, 1946).
    Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, es gibt auch Männer (Witwer), die eine Frau gerade deshalb lieben, weil sie ihnen den Haushalt so toll in Ordnung hält, so gut kocht und sich nett um die Kinder kümmert (vgl. “Kiss Of Death”, 1955).
  • aktiv / passiv
    Frauen lassen sich eher erobern, sie setzen dafür ihr Aussehen, ihren Körper, knappe Kleidung und laszive Bewegungen ein („Road House“, 1948, „Gilda“, 1946).
    Männer sind hingegen eher aktiv, sie gehen aus, sie setzen aktiv Schritte, um ihr Problem zu lösen, sie treiben dadurch die Handlung voran – und wenn sie eine Frau wollen, warten sie auf deren Aufforderung (Blicke, Körpersprache) oder auch nicht und sprechen sie an.
    Sie sind dann interessant, stark und männlich, wenn sie aktiv sind, wenn sie „wissen, was zu tun ist“ und selbständige Handlungen setzen, zur Lösung eines Problems beitragen und sich keine Gefühle anmerken lassen (überwiegend in Detektivfilmen mit Philipp Marlowe)
  • Schlaftabletten
    Einige Frauen nehmen Schlaftabletten, um ihren Alltag zu ertragen (Nebenfigur in „The Asphalt Jungle“, 1950, Hauptfigur in „Whirlpool“, 1949).
    Nur ein Mann in den bisher gesichteten Filmen nimmt Schlaftabletten und das mit der Absicht, seinem Schicksal zu entkommen („Kiss Me Deadly“, 1955).
  • Kinder / Erziehung
    Ein Mann braucht eine Frau, die sich um sein Kind kümmert, er selbst kann das nicht („The Big Heat“, 1953: die Ehefrau ist tot, das Kind kommt nie wieder vor, „Kiss Of Death“, 1947: die Ehefrau begeht Selbstmord, während der Protagonist im Gefängnis ist (Grund: ein anderer Mann), die nächste Frau findet sich schnell und unkompliziert, sie kocht für ihn und kümmert sich freudenstrahlend um seine Kinder.
    Frauen sorgen hingegen sowohl für das finanzielle Überleben als auch für die Erziehung ihrer (angenommenen und echten) Kinder (vgl. Ma Cooper in „The Night Of The Hunter“, 1955, die Mutter in „Pursued“, 1947, das sich prostituierende „cigarette girl“ in „Sweet Smell Of Success“, 1957)
  • Berufliche Positionen
    Richter, Polizisten, Ärzte (bis auf wenige Ausnahmen: z.B. „Spellbound“, 1946), Reporter und Zeitungsbesitzer sind (fast) immer Männer, auch Verbrecher, die einen Coup planen und eine Team brauchen, sind Männer.
  • Einzelkämpferinnen vs. Team
    Frauen arbeiten nicht im Team, wenn sie böse sind (femme fatale), sie sind meist alleine, höchstens im Team mit dem jungen Geliebten gegen den Ehemann (z.B. „The Postman Always Rings Twice“, 1946).
    Männer haben oft andere Männer im Team, mit denen sie gemeinsam ein Verbrechen planen und/oder durchziehen („Double Indemnity“, 1944, „The Blue Dahlia“, 1946, „Dead Reckoning“, 1947)
  • Mütter und Sex
    Mütter haben eher keinen Sex („The Big Clock“, 1948) – und wenn doch, werden sie bestraft („Mildred Pierce“, 1945, Protagonistin ist Mutter und hat Sex, daraufhin stirbt ihre Tochter; „The Night Of The Hunter, 1955, die Mutter heiratet einen Mörder, der sich hinter einer religiös-fanatischen Maske versteckt und ihr aus diesem Grund den Sex verweigert, durch ihren Willen zum Sex, also ihre Heirat, verrät sie die Kinder und muss sterben).



c) Geschlechterspezifische Emotionszuschreibungen

Männer zeigen im film noir kaum Emotionen; ihr Standardgesicht ist eher neutral, es scheint, als hätten sie Emotionen nur in Ausnahmesituationen, wenn der Druck auf sie steigt.
Bei manchen Männern im Film Noir handelt es sich scheinbar um gefühllose, erkaltete Wesen, die nur in der gewalttätig und plötzlich hervorbrechenden Aggression ein Ventil finden, sich auszudrücken.
Über Gefühle zu reden, ist ihnen nicht gegeben, diese werden abgespalten und als „zur Frau zugehörig“ betrachtet. (Ausdruckslose Gesichter finden sich v.a. bei den Darstellern Van Heflin, Charlton Heston, Robert Mitchum, leidende Gesichter bei Humphrey Bogart und Dana Andrews.)

Lebhafte Mimik bei Männern (aufgerissene Augen, viele verschiedene Gesichtsausdrücke bis hin zu Grimassenschneiden) wird im film noir nur zugelassen, wenn es sich um psychische Erkrankung handelt (vgl. Peter Lorre als geisteskranker Mörder in „Stranger on the Third Floor“, 1940, oder Richard Widmark als ständig seelisch absturzgefährdeter Gauner in „Night and The City“, 1942, eine weibliche Ausnahme: bei Joan Crawford in „Possessed“, 1947).

Frauen hingegen dienen als Katalysatoren von Gefühlen und zeigen ihre Emotionen sehr häufig: Ihre Mimik ist viel stärker, ihr Darstellungsspektrum viel breiter (von Lachen bis Weinen, von Verzweiflung bis Wut, von Angst bis Hass, von verführerischen Blicken übers Sorgenmachen), besonders von Schauspielerinnen in der Rolle von femmes fatales (vgl. Rita Hayworth als „Gilda“, 1946).

Frauen weinen auch immer wieder und werden dabei als “schön und verletzt” bzw. “verletzlich” inszeniert (vgl. Ilsa in „Casablanca“, 1942, immer wieder ist es die eine glitzernde Träne, die an der Wimper hängt oder die Wange herabläuft). Männer weinen eher selten (Ausnahme: „The Big Combo“, 1955)

nächstes Kapitel: INSZENIERUNG: femme fatale

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