Kapitelübersicht:
Die Kriegsjahre (1941 bis 1946) werden als Entstehungsperiode eines neuen, authentischen und brutalen Stils gesehen (BORDE & CHEAUMONT, 1955).
Überwiegend werden die Filme – die aufgrund des Krieges in geringerer Anzahl, aber doch gedreht wurden – im Studio aufgenommen; sie beinhalten mehr Dialog als Actionszenen und häufig gibt es den männlichen Privatdetektiv als handelnde Figur (SCHRADER 1972):
„The Glass Key“ (1942), „Laura“ (1944), „To Have and Have Not“ (1944), „Mildred Pierce“ (1945), „Fallen Angel“ (1945), „Spellbound“ (1945), „The Big Sleep“ (1946), „Strange Love Of Martha Ivers“ (1946), „Gilda“ (1946), „The Postman Always Rings Twice“ (1946), „The Dark Mirror“ (1946).
Ab 1946 beginnt eine thematische und stilistische Veränderung, das sowohl Borde und Cheaumont (1955) als auch Schrader (1972) auffällt: Die Plots basieren immer weniger auf Romantik, sondern wenden sich Themen wie Polizeiroutine, politische Korruption und dem Verbrechen auf der Straße zu.
Dementsprechend wird überwiegend on location, d.h. an Originalschauplätzen gedreht: Es gibt nicht mehr nur interiors, sondern Filme, die im Freien spielen (z.B. „Roadhouse“, 1948, „Desert Fury“, 1947, „Pursued“, 1947). Die Kamera steht mit den Schauspielern in den Straßen New Yorks (z.B. „Kiss Of Death“, 1947, „Naked City“, 1948) oder fährt mit ihnen im Auto durch die Straßen einer Kleinstadt oder San Franciscos (z.B. „Gun Crazy“, 1950, „Vertigo“, 1958).
Der film noir entwickelt sich so in Richtung Dokumentationsfilm, es entsteht nun ein realistischer Look, der sich mit der expressionistisch geprägten Art des Einleuchtens mischt.
Ab 1949 stellen Borde und Cheaumont eine Transformation fest: Elemente des film noir werden auch von anderen Filmgenres aufgenommen (Polizei-, Gangster- und Gefängnisfilme), es folgt der Untergang der schwarzen Serie, dafür entstehen neue (z.B. Anti-Kommunismus-Filme, Science Fiction Filme).
Borde und Cheaumont verfassten ihr Buch über Film Noir 1955, Schrader sieht mit rund 30 Jahren Distanz (1972) just in dieser Zeit (1949-53) eine Periode von psychotischer Action und suizidalen Impulsen, in der Psychopathen häufige Hauptfiguren sind und das Verrücktwerden bzw. die Aufspaltung der Persönlichkeit ein wichtiges Thema ist (SCHRADER 1972, 59).
Das spiegelt insofern die zeitgeschichtliche Paranoia wider, die mit Verurteilung der Hollywood Ten wegen des Verdachts auf Kommunismus und „Un-Amerikanische Aktivitäten“ 1948 und mit dem Aufstieg des Senators McCarthy 1950-54 ihren Höhepunkt fand.
Die Psychopathen, die zuvor als Studienobjekte (z.B. Olivia de Havilland in „The Dark Mirror“, 1946) oder als Antagonisten (z.B. Richard Widmark in „Kiss Of Death“, 1947) gezeigt worden waren, werden nun zu Protagonisten (z.B. „Kiss Tomorrow Goodbye“, 1950, „Gun Crazy“, 1950, „Sunset Boulevard“, 1950).
Einteilungen nach Jahreszahlen beschreiben zwangsläufig immer nur die statistische Häufung bestimmter vorkommender Merkmale; die Ausnahmen sind dabei schwer zu fassen.
Alternativ könnte man die Filme nach Themen sortieren, so wie es Durgnat (1970) mit rund 300 films noirs macht, allerdings mit der Einbuße, dass zeitlich genaue Einordnungen nicht möglich sind, da sich die Bearbeitung von Themen oft zuerst in einzelnen Filmen zeigt, dann häufig in mehreren Filmen innerhalb eines bestimmten Zeitraums und schließlich wieder in weniger Filmen.
Durgnat sieht elf Leitmotive oder Zyklen, die sich in den Filmen wiederholen und in deren Mittelpunkt stets ein Verbrechen oder ein Verbrecher stehen: Seine Zuordnungen sind gemischt, er ordnet die elf Leitmotive/Zyklen eher unsystematisch:
- nach Figuren (Gangsterfilm, Detektiv- und Abenteuerfilm, Psychopathen, Doppelgänger und Porträts),
- nach Plots (Geiselnahme, Flucht),
- nach der Funktion des Films (Kriminalfilme mit sozialer Kritik, Filme mit Nazi-Agenten, Gestapo und Kommunisten als Antagonisten),
- nach Milieu („middle class murder“),
- nach Genre (Monsterfilm, Horror, Fantasy),
- nach Darstellung von Sexualität (Hetero- oder Homosexualität, Misogynie).
So fehlt in seiner Auflistung z.B. die Zuordnung von Westernelementen (z.B. „Pursued“, 1947) und die Figur der neuen, selbstbewussten Frau, bedingt durch den Krieg (z.B. „Hollow Triumph“, 1948).
Durgnats Betrachtungsweise umfasst dabei Filme, die die jeweiligen Leitmotive enthalten (z.B. Horrorfilm: „Frankenstein“, 1931), die aber zeitlich den vorgeschlagenen Rahmen (1940-60) sprengen.
Von dieser Perspektive aus könnte man die ab 1960 gedrehten Filme mit auffälligen Noir-Elementen (z.B. „Chinatown“, 1974, „Blade Runner“, 1982) für eine Fortsetzung der film noir Produktion halten, wenn auch für eine quantitativ ausgedünnte.
Der Grund für diese Ausdünnung lag mit Sicherheit zu einem Teil an der technischen Entwicklung: Die wenigen films noirs in Farbe („Desert Fury“, 1947, „Leave Her To Heaven“, 1947, „Black Widow“, 1954) hatten sichtlich Schwierigkeiten, die düstere Lichtgestaltung der auf schwarzweißem Filmmaterial gedrehten films noirs zu übernehmen.
Außerdem verlangte das in den 1950er Jahren entstehende Fernsehen helle Ausleuchtung und viele Naheinstellungen (da die Fernsehgeräte anfangs klein waren) (SCHRADER 1972, 61). Die B-Film-Produktion wurde zurückgeschraubt und dafür mehr fürs Fernsehen produziert (BELTON 1994, 203)
Ab 1982 wurde es durch die technische Entwicklung des Filmmaterials möglich, auch auf Farbfilm mit nur sehr wenig Licht zu arbeiten (ERICKSON 1996, 314), und damit konnten ab 1988 Filme gedreht werden, die eine ähnliche Licht-Schatten-Gestaltung aufwiesen, wie die Filme der ursprünglichen Produktionsperiode von 1940 bis ca. 1960 (z.B. „Bird“, 1988, „DOA“ 1988, das Remake von „D.O.A.“, 1949).
Durch die fortbestehende Faszination von Verbrechen und Kriminalgeschichten – was möglicherweise nicht zuletzt mit der hohen Kriminalität in den USA zusammenhängt (vgl. ERICKSON 1996, 316) – hat film noir bis heute nichts an seiner Anziehungskraft verloren und wird in verschiedensten Formen weiterhin gedreht:
- Als Verfilmung von Romanen der hard-boiled literature („L.A. Confidential“, 1997),
- als Remake von oder Reminiszen an Filme von 1940-60 („Face/Off“, 1997 – erinnert an „Dark Passage“, 1947),
- als Variation der Genderdarstellung („Bound“, 1996),
- als Fernsehserie (z.B. „Auf der Flucht“, 1963–67, „Miami Vice“, 1984-89),
- als Comicverfilmung („Sin City“, 2005),
- als Computerspiel („Grim Fandango“, 1998, von LucasArts, „Max Payne“, 2001)
- oder als Computerspielverfilmung („Max Payne“, 2008).
Die narrativen und ästhetischen Merkmale bleiben in vielen dieser Beispiele erhalten (männlicher Protagonist, düstere Welt, Erzählerstimme und Rückblenden, Lichtgestaltung, etc.).