3.12 Räume

Kapitelübersicht:

a) Figuren in sozialen Räumen
b) Inneneinrichtung und Stil
c) Studio vs. on location

Die Wahl der Filmräume läuft oft dem production code zuwider, der vorsieht, dass beispielsweise bei der Darstellung von Schlafzimmern „good taste and delicacy“ herrschen müssen.
So wird das eheliche Schlafzimmer häufig als ein Raum mit zwei voneinander getrennten Einzelbetten gezeigt, z.B. „Kiss Of Death“, 1947:

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Die Figuren, die in ihrem Zimmer sind und sich dabei mangels alternativen Sitzmöglichkeiten auf ihr Bett legen, sind prinzipiell von Kopf bis Fuß angezogen – inklusive Schuhe (z.B. „Shadow Of A Doubt“, 1943).

Filmräume wie Casinos (Glücksspiel) oder Nachtclubs und Bars (Alkohol) waren ebenfalls verboten: Denn das erste Grundprinzip des production code verbietet es, Filme zu produzieren, „that will lower the moral standards of those who see it“. Grundprinzip zwei verlangt, dass „correct standards of life (….) shall be represented.“

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An den Räumen im film noir fällt als erstes ihre Größe auf. Oft handelt es sich um großzügig gestaltete, öffentliche Räume (wie Restaurants, Casinos), um Büroräumlichkeiten eines Unternehmensführers (Büro des Versicherungschefs oder des Zeitungschefs) und um private Villen (Stiegen, Eingangshalle, Wohnzimmer – Abb. aus “Gilda”, 1946):

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Auch wenn es in der Realität um kleine Räume wie z.B. ein Zimmer auf einem Polizeirevier oder in einer Pension geht, wirken diese im film noir größer und weiter.
Ein Grund dafür ist vermutlich die Tatsache, dass es sich bei den meisten um Studiobauten handelt (vgl. PORFIRIO 2001, 78), die schon in Hinblick auf die Handhabung von Kameras gebaut wurden.
Die Wände sind vermutlich einzeln wegnehmbar, die Gänge haben einen Mindestdurchmesser von vermutlich mindestens eineinhalb bis zwei Meter, so dass die Kameras und die sie bedienenden Mitarbeiter rundherum problemlos verschoben werden bzw. auf Schienen fahren und den Filmfiguren folgen konnten.


a) Figuren in sozialen Räumen

Nicht nur der eine Figur umgebende Raum, sondern auch die Gegenstände ihres Handelns verraten etwas über die Macht und damit die Funktion einer Figur im Film.

Große, weitläufige Räume gehören den Männern – es sind Büros, Bars, Restaurants, die auch etwas über gesellschaftliche Stellung und finanziellen Stand des jeweiligen Mannes aussagen.
Ähnlich einem König herrschen die männlichen Figuren von ihren Räumen aus über unsichtbare größere Räume. Alle sie umgebenden Statisten suggerieren die Menge der Menschen, über die sie herrschen.
Durch die Weite der filmischen Räume gelingt eine Visualisierung der Macht dieser Männer, die meist unterstützt wird durch teure Ausstattung (Luster, glänzendes ergo teures Holz, edle Tischgedecke, Ledersofas, etc.).

In Bars kennt sich die handelnde Figur meist aus und ist mit dem Barkeeper gut bekannt – in Restaurants mit dem Kellner (vgl. „Where The Sidewalk Ends“, 1950, „The Big Clock“, 1948).
Diese KellnerInnen oder Barkeeper kommentieren die Figuren und deren Handlungen oft, manchmal kritisch, manchmal witzig.

Abb. typische Bareinstellung in „The Big Clock“, 1948:

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Autos werden öfter von Männern als von Frauen gefahren (eine der Ausnahmen: „The House On Telegraph Hill“, 1951, oder „The Strange Love Of Martha Ivers“, 1946).
Autos charakterisieren eine Figur bzw. geben ihr Handlungen (Lenken, ans Lenkrad gelehnt sein) und Macht (den aktiven Part im Bild bzw. die implizite Möglichkeit, jederzeit wegfahren zu können).

Privaträume (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Stiegen, Eingangshalle) vermitteln Reichtum oder Armut einer Figur, also gesellschaftlichen Status. Oft genug bilden glänzende, edle Privaträume einen Kontrast zum düsteren Seelenleben der Figur, genauso wie armselige Dach- oder Souterrainstuben (z.B. „The Seventh Victim“, 1943, „Night and The City“, 1942) die Motivation einer Figur verdeutlichen, aus diesem Elend durch verbrecherische Taten zu entkommen.


b) Inneneinrichtung und Stil

Der Stil der Inneneinrichtung ist häufig ein üppiger, fast überladener, der Assoziationen an die Romantik (engl. „Gothic“) weckt (s. Abb. 34 von “Gilda”, 1946):

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Alternativ gibt es Wohnungen (z.B. von Philipp Marlowe in „Kiss Me Deadly“, 1955) oder Nachtclubs, die im Stil der Neuen Sachlichkeit/Bauhaus eingerichtet sind: Hier dominieren geometrische Elemente, einfärbige Flächen, Schmucklosigkeit (vgl. Abb.  35, „Black Angel“, 1946):

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Als beliebtes Mittel der Wahl in Studioräumen sind die Glasscheiben von Fenstern – durch sie fällt suggeriertes Tageslicht oder sie zeigen eine Stadtaussicht (vgl. „Black Widow“, 1954), die den Eindruck erweckt, als befinde man sich tatsächlich in einem Wolkenkratzer.

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Auch Milchglasscheiben (z.B. in Detekteien, vgl. „The Maltese Falcon“, 1941) werden gerne verwendet, sie können von beiden Seiten beleuchtet werden, sind also entweder undurchsichtig oder aber zeigen die Silhouetten derjenigen, die sich auf der anderen Seite bewegen. Das wird auch gerne benutzt, wenn bspw. die Hauptfigur jemanden belauscht (vgl. „Angel Face“, 1952).

In Detektivbüros und Gerichtssälen gibt es gerne neben Fensterkreuzen oder Fenstern mit Aufschriften (z.B. dem Namen der Detektei) hölzerne Balustraden, die kniehoch sind und als Raumteiler durch den Raum laufen. Sie machen machen das Kamerabild interessanter und sind oft ein Grund für längliche Schatten, die durch den Raum fallen.

Wände sind meist entweder einfärbig oder mit Blumen- oder Streifenmuster tapeziert. Auch hier sind immer wieder glänzende Elemente im Muster zu finden, die das Licht effektvoll reflektieren.
Einfärbige (graue oder weiße) Wände werden dann verwendet, wenn mit Schattenrissen von handlungsrelevanten Gegenständen oder stimmungserzeugenden Schatten gearbeitet wird (mehr dazu im Abschnitt „Licht- und Schattengestaltung“).

Räumliche Hintergründe werden aber auch gern grafisch gestaltet – bspw. durch geometrisch gemusterte Türeingänge (wie die Eingangstür zu Ricks Café in „Casablanca“ (1942, Abb. links) oder die viereckig gemusterte Tür einer U-Bahnstation in „The Seventh Victim“, 1943) oder durch vertikale Gitter (beliebt: Kassaschalter am Bahnhof in „Spellbound“, 1945, oder in „The Seventh Victim“, 1943, Abb. rechts):

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c) Studio vs. on location

Ab ca. 1946 änderte sich die Drehgewohnheiten der Filmemacher und man ging vermehrt hinaus, um „on location“, also auf real vorhandenen Schauplätzen zu drehen. So kommt es, dass die Stadt manchmal die eigentliche Hauptperson eines Films ist (vgl. „Hollow Triumph“, 1948).
Hier wurde oft bei available light (nur Sonnenlicht) gedreht, wodurch Filme mit realistischem Licht und mit Ähnlichkeiten zum Dokumentarstil entstanden.
Die Kombination von solchen Szenen mit immer noch expressionistisch beleuchteten Innenszenen im Studio führte zu einer seltsamen Mischungen aus Realismus und Expressionismus im gleichen Film (vgl. SCHRADER 1970).

nächstes Kapitel: INSZENIERUNG: Requisiten

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