Kapitelübersicht:
a) Farbe als Schockelement: “Spellbound” (1945)
b) Film Noir als Farbfilm
– Bsp. 1: “Leave her to Heaven” (1945) – zu viele Farben
– Bsp. 2: “Black Widow” (1954) – Pastellfarben
– Bsp. 3: “Vertigo” (1958) – Spiel mit Farben
c) Spätere und heutige films noirs in Farbe
Film noir wurde überwiegend auf schwarzweißem Filmmaterial gedreht. Einerseits waren viele Filme von Anfang an als B-Filme geplant und daher auch entsprechend budgetiert.
Andererseits war das damalige Farbfilmmaterial noch nicht sehr lichtempfindlich (vgl. PORFIRIO 2001, 95) – das hieß, man musste extrem lichtstarke Scheinwerfer verwenden, wodurch die Farben sehr intensiv bzw. grell wirkten.
Von Licht- und Schattenmalerei ist in den ersten Versuchen, einen film noir in Farbe zu drehen, nicht mehr viel zu sehen.
Farbe als ein Schockelement verwendete Hitchcock schon im auf Schwarzweiß gedrehten film noir „Spellbound“ (1945), wo am Filmende plötzlich ein roter frame aufblitzt – als der Mörder sich selbst erschießt:

Das Erschrecken in den Sekunden vor dem Schuss (die Pistole zeigt auf die Kamera, d.h. auf das Publikum) wird übertroffen durch das Erschrecken nach dem Schuss: Das Bild ist rot, als blute es.
(Allerdings konnte der Film bei der Ausstrahlung im Fernsehen die ersten Jahre nur in schwarzweiß gezeigt werden – das Farbfernsehen wurde in den USA erst Mitte der 1950er Jahre möglich bzw. zum Standard):
Doch nicht nur Licht- und Schattensetzung sind ein Problem, auch der Umgang mit den farbigen Elementen der Realität und ihrer Abstimmung aufeinander war offensichtlich erst zu lernen:
Im frühen Versuch „Leave Her To Heaven“ (1945) entsteht oft keine einheitliche Stimmung, weil die Farbqualitäten der Drehorte so unterschiedlich sind (Prärie, See, Sonnenlicht, Finsternis).
Manche Filmbilder wirken daher farblich sehr intensiv, andere ausgewaschen, in manchen dominieren Farben der kalten Skala (Blau-Grautöne), in anderen die der warmen (Braun-Goldtöne). Die Szenen wirken dadurch teilweise wie unterschiedlichen Filmen entnommen (der film noir „The Big Bang“ von 2010 imitiert genau das – und zerfällt visuell ebenso):
Auch wenn die Kostüme in „Leave Her To Heaven“ (1945) manchmal einfärbig sind, dominieren in der Inneneinrichtung große farbenprächtige Blumenmuster – insgesamt entsteht der Eindruck, als wäre dieser Film in Farbe gedreht worden, während seine Macher noch der schwarzweißen Denkrichtung verhaftet waren (ähnlich wie bei „Desert Fury“, 1947)
Wären die Bilder schwarzweiß, würde eine solche Musterung des Hintergrundes kombiniert mit einem einfärbigen Kostüm, über das Schatten laufen, als düsteres Setting gut funktionieren (Abb. 85a).

Nur in Ansätzen gelingt eine farblich in Kostüm und Inneneinrichtung einheitlich gehaltene (blau-graue) Filmgestaltung: Am Beginn in der Zugszene (Abb. 85b) und am Ende in der Gerichtsszene.
Auch im Film „Black Widow“ (1954) gelingen einige Einstellungen und Szenen gut – im Sinne von düster und bedrohlich, passend zur Handlung.
Der im Cinemascope-Format gedrehte Film setzt allerdings überwiegend auf Pastelltöne, was eine eigentümliche, überwiegend freundliche Atmosphäre kreiert, die in Kontrast zum Mord und den Beschuldigungen auf der Handlungsebene steht. (Genau dieses Mittel zur Kontrastierung verwendete 1986 auch David Lynch in „Blue Velvet“):
Die ursprüngliche Stimmung des film noir, die dadurch entsteht, dass Figuren mit den Hintergründen verschmelzen oder von Schatten überwuchert sind, kann dadurch nicht mehr entstehen (wie in der Einleitung beschrieben, lag das am lichtunempfindlichen Farbfilmmaterial; erst in den 1980ern wurde es so empfindlich, dass eine Glühbirne ausreichte, um eine Szene zu beleuchten.)
Beim Film „Vertigo“ (1958) wird – trotz dieser Einschränkungen – zumindest mit Farben gemalt und durch die gezielte Auswahl von Farbskalen eine eigene, stimmige Atmosphäre geschaffen.
So wechseln sich in dem Film farblich gedämpft gehaltene Szenen (Verfolgung im Auto, Recherche in Bibliothek oder Hotel) mit farblich intensiven Szenen ab (erste Begegnung im Restaurant mit roten Samtwänden, im Blumengeschäft, seine Traumsequenz, Szene in ihrer Wohnung im grünen Neonlicht):
Dazwischen gibt es farblich ausgeblichene Szenen (v.a. in seiner Wohnung, im Krankenhaus), die eine Pause seiner Verfolgungsjagd suggerieren, ein Anhalten seines Begehrens, das stets durch die Intensität der Farbgestaltung vor Augen steht.
Der Film spielt auch auf feine Weise mit den unterschiedlichen Farbskalen für Kostüm und Ausstattung: Zu Beginn haben die Räume z.B. Farben der warmen Skala in der Inneneinrichtung (z.B. Braun, Rot, im Zimmer seines Auftraggebers), die Figuren tragen jedoch Farben der kalten Skala (beide tragen blau-graue Anzüge):

Umgekehrt genauso: Als Kim Novak im Blumengeschäft steht, ist sie von warmen Tönen umgeben (gelbe, rote, pinkfarbene Blumen), trägt aber selbst kalte Farben (ein graues Kostüm). Die Figuren heben sich dadurch gut von ihrer Umgebung ab und wirken so, als ob sie doch nie in die Welt gehören, in der sie handeln:
Auffällige Farbakzente sind ebenfalls klar und erkennbar absichtlich gesetzt: Die Erstbegegnung findet im Restaurant mit den roten Samtwänden statt, Kim Nowak trägt dabei ein grünes Abendkleid (Abb. 86a). Als er sie wieder zu finden glaubt, trägt die Person, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht (und in Wirklichkeit tatsächlich sie ist) ebenfalls ein grünes Kleid:
Die Szenen zwischen James Stewart und Kim Novak sind (im Gegensatz zu vielen anderen Szenen des Films) in kalten Farben gehalten, so als ob das erotische Feuer zwischen ihnen niemals brennen wird:
Als sie in seiner Wohnung aufwacht, trägt sie einen roten Bademantel, allerdings ist dieses Rot hell und kühl, nicht das feurige Dunkelrot einer vielversprechenden Romanze.
Die Wohnung enthält viele blau-graue Flächen und einige hyazinthfarbene Elemente, Stewart trägt einen grünen Pullover, der ebenfalls ins Kühle geht (Abb. 86b):

Im Gegensatz dazu sind die Wände der Wohnung seiner besten Freundin gelb, er trägt bei ihr immer braune Anzüge – die Atmosphäre dort wirkt so stets warm und gemütlich, dennoch sehnt er sich nach der anderen:
c) Spätere und heutige films noirs in Farbe
„Chinatown“ (1974) und „Blade Runner“ (1981) sind weitere Versuche, die Düsternis der Handlung in eine filmische Atmosphäre umzusetzen.
In den 1980ern wurde ein entsprechend lichtempfindlicher Farbfilm entwickelt, so dass ab 1988 Filme gedreht werden konnten, die – ähnlich wie die films noirs der 1940er Jahre – von nur einer schwachen Glühlampe ausreichend belichtet wurden.
Mittlerweile werden films noirs auf Farbmaterial gedreht, die oft sehr dunkel eingeleuchtet sind und/oder mit Farbe in teils extremer Weise spielen, z.B. „Sin City“ (2005):
in dieser schwarzweißen, sehr grafisch anmutenden Comic-Verfilmung sind einzelne Elemente in leuchtender Farbe gehalten, z.B. die roten Lippen der Frau:
In der Verfilmung des gleichnamigen Computerspiels „Max Payne“ (2008) wird die Farblogik ins Gegenteil verkehrt: die Räume, in denen sich der Detektiv Max Payne bewegt, sind überwiegend kalt (blaue, graue Ausstattung, Kostüme, Licht), während das Böse hinsichtlich Ausstattung, Kostüm und Licht in irritierend warmen Farben wie Gelb oder Gold inszeniert ist:
























