Der Verkauf eines Films beginnt mit dem Titel; ebenso beginnt jede Filmproduktion mit einem Drehbuch; darum beginnt auch die Analyse der films noirs mit einer Analyse der von ihnen verwendeten Sprache:
a) Filmtitel
b) Sprechende Namen
c) Typische Ausdrücke
d) Dialog
e) Gesellschaftliche Aussagen über Männer und Frauen
a) Filmtitel (nach Genette „Paratext“)
Filmtitel durften aufgrund des production code nicht anstößig sein und haben eine bestimmte Dramatik und Schicksalhaftigkeit, die aus ihrer Zusammensetzung entsteht. In den meisten Titeln sind bereits die beiden wichtigsten Themen des film noir enthalten:
- „Tod/Verbrechen“ (z.B.: Dark, Murder, Death, Dead, Black, Past, Kill, Widow, Secret), und
- „Erotik/Sexualität“ (z.B.: Kiss, Lady, Angel, Heat).
„Black Angel“, „Black Widow“, „The Dark Mirror“ oder „Dark Passage“ deuten schon durch ihren Titel auf eine düstere Stimmung hin. „To Have and To Have Not“ klingt ebenso schicksalhaft wie „Fallen Angel“, „The Postman Always Rings Twice“ oder „Where The Sidewalk Ends“. „Possessed“, „Born To Kill“, „Shadow Of A Doubt“, „I Confess“ oder „The Seventh Victim“ schüren eine Erwartungshaltung, die psychologische Spannung und brutale Gewalttaten andeutet.
Auch ein Schuss Exotik ist gerne enthalten: „The Lady From Shanghai“, „Moontide“ oder „Casablanca“ künden von Ländern oder Stimmungen, die fern vom Alltag sind.
„Kiss Me Deadly“, „Kiss Of Death“, „The Big Heat“ oder auch „Angel Face“ sowie „Laura“ und „Gilda“ versprechen nicht zuletzt Frauen – femmes fatales - in größeren Rollen, so dass die Lust am Schauen befriedigt werden kann.
Generell ist festzustellen, dass die Titel – genauso wie die Filmplakate – darauf abzielen, Assoziationen aus dem Bereich „Sex and Crime“ auszulösen und eine Sensationslust im potentiellen Zuschauer zu wecken, um diesen zum Kauf eines Kinotickets zu animieren.
b) Sprechende Namen (nach Genette „Hypertexte“)
Ingrid Bergmanns Figur im Film „Spellbound“ (1945) heißt bezeichnenderweise Constance („die Standhafte“); ihr Name ist Programm in jeder Hinsicht und könnte nicht besser zu ihrem Charakter passen.
Eine interessante Verballhornung von Silben ergibt sich im gleichen Film: Von Dr. Fleurot (erinnert an „fleur“ wie Blume) wird sie damit aufgezogen, auf ihren „Mr. Valentine“ zu warten, sozusagen der Mann, für den sie ihre Liebe aufspart. Selbstverständlich muss Gregory Pecks Charakter, in den sie sich verliebt, den sie rettet und heiratet, in Anlehnung daran Johnny Ballantyne heißen; eine unüberhörbare lautmalerische Anspielung.
Anne Baxters Filmfigur in „I Confess“ (1953) trägt den Namen Ruth Grandfort – erklärt wird das damit, dass sie mit einem Franzosen verheiratet ist, doch Grandfort bedeutet wortwörtlich „groß“ und „stark“. Das sind auch ihre Eigenschaften, denn sie muss vor Polizei und Gericht über ihre Liebe zu einem Priester sprechen und sich vorwerfen lassen, Ehebruch begangen zu haben.
Aber auch die Antagonisten haben sprechende Namen: Lawrence Tierney spielt beispielsweise im Film „Born to Kill“ (1947) einen gewaltbereiten, emotional gestörten Mann, der – wie der Titel vermuten lässt – zum Töten (von Frauen) geboren wurde und dementsprechend Sam Wild heißt.
Die Figuren in den films noirs verwenden ähnliche Wörter, was auf einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund weist (das Los Angeles der 1940er und 50er): So wird häufig „swell“ als Synonym für „toll, cool“ verwendet. Die Polizisten werden stets als „cops“ bezeichnet, Geld ist immer „dough“ (Knete): „Give me some dough“, „I need some dough“, „I don’t have enough dough“.
Sprache ist im film noir ein wesentliches Mittel, um Humor in den Film zu bringen. Denn die Filmbilder sind nicht nur schwarzweiß, sondern auch sehr kontrastreich und von daher eher düster, auch die Geschichten, die erzählt werden, sind in moralischen Graubereichen angesiedelt und zeigen Menschen am Rande des oder bereits im Sturzflug in den Abgrund. Auch der Musik mit ihrem Symphoniecharakter haftet etwas latent Tragisches an. Zum Ausgleich werden in vielen der film noirs witzige Sprüche verwendet, um zwischendurch die Stimmung etwas aufzulockern:
Zu Beginn des Films „The Strange Love Of Martha Ivers“ (1946) verursacht z.B. die männliche Hauptfigur, dargestellt von Van Heflin, einen Autounfall – und erklärt das mit Worten: „The road curved, but I didn’t“.
In „Spellbound“ (1945) wird die Figur von Ingrid Bergmann am Filmanfang als von Männern umworbene, aber auch in Liebesdingen unerfahrene Ärztin etabliert – allerdings nicht ohne Witz zwischen den Zeilen, als sie sich selbstbewusst gegen die Anspielungen wehrt. Der zurückgewiesene Dr. Fleurot sagt: „You approach all your problems with an ice pack on your head“. Ingrid Bergmanns Figur antwortet: „Are you making love to me?“.
Etwas später macht sich Michael Chekhov als Dr. Brulov über sich selbst als Psychoanalytiker lustig und kommentiert dabei zugleich die in films noirs äußerst präsente Psychoanalyse: „There is nothing so nice as a new marriage. No psychoses yet, no aggressions, no guilt complexes. I congratulate you and wish you have babies and not phobias.“
Auch Nebenfiguren können mit witzigen Sätzen erinnerungswürdig inszeniert werden: So sagt in „The Glass Key“ (1942) eine Nebenfigur zur anderen: „My first wife was the second cook at a third-rate joint on 4th Street.“
Mit ausgefeilten rhetorischen Mitteln (Anspielungen, Wortspiele, Metaphern, Reihungen, etc.) wird in den besseren Filmen eine sprachliche Qualität erreicht, die der audiovisuellen um nichts nachsteht: So auch die letzten Sätze in der Schlussszene von „The Big Sleep“ (1946): Die Plot ist aufgelöst, der Subplot („Kriegen sie sich oder nicht?“) noch nicht. Humphrey Bogart erklärt Lauren Bacall, was zu tun ist, um ihren Vater zu beruhigen und ihre Schwester zu heilen.
Als er eine Pause macht, sagt sie: „You’ve forgotten one thing – me.“
Er: „What’s wrong with you?“.
Sie: „Nothing you can’t fix“.
Sie blicken sich tief in die Augen, das Bild wird schwarz und mit diesen wenigen Sätzen ist auch der Subplot zufriedenstellend gelöst: Das Publikum wird mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht aus dem Film entlassen.
Auch Anspielungen auf die strenge Zensur durch den production code werden gemacht, so z.B. wenn Ida Lupino in „Moontide“ (1942) Jean Gabin vor dem vorehelichen Kuss fragt: „Is this allowed?“.
Diese Frage lässt sich sowohl auf die Handlung beziehen (Küssen vor der Ehe), als auch auf den production code (das Zeigen sexueller Handlungen ist verboten, außer es ist absolut notwendig für den Plot). Ähnlich ist die Situation, als Gregory Peck in „Spellbound“ (1945) Ingrid Bergmann am Bahnhof vor dem Ticketabreißer küssen möchte. Er behauptet, das täten alle Eheleute, die Abschied nähmen und weist auf die sich umarmenden Paare. Ihre Antwort: “But we are not married.” Am Ende des Films umarmen und küssen sie sich in derselben Situation (vor dem Kartenkontrolleur) noch einmal und zwar ordentlich, da sie nun verheiratet sind.
Im Film „Beyond Reasonable Doubt“ (1956) wird damit – 22 Jahre nach Einführung des production codes und wenige Jahre vor seiner endgültigen Aufhebung – schon lockerer umgegangen: Die Tochter betritt den Raum und küsst zur Begrüßung den Vater auf die Stirn und den Verlobten lange auf den Mund: Auf den fragenden Blick des Vaters sagt sie: „I couldn‘t reach the top of his head“, daraufhin der Vater: „You didn‘t try very hard“.
Genauso gibt es verdeckte Anspielungen auf Homosexualität: Bspw. in „Moontide“ (1942), als Ida Lupinos Figur vom ehemals besten Freund und Geschäftspartners ihres zukünftigen Mannes angegriffen wird. Sein Argument „You stand in my way“ klingt nicht nur nach beleidigtem Freund, sondern durchaus auch nach eifersüchtigem Nebenbuhler (wie in der Buchvorlage explizit beschrieben).
e) Gesellschaftliche Aussagen über Männer und Frauen
Mittels Figurenrede werden in films noirs nicht nur plotrelevante Informationen gegeben, sondern auch gesellschaftliche Aussagen über Männer und Frauen getroffen:
So sagt der Bruder des Hausherrn in „The Spiral Staircase“ (1945) zur Sekretärin des Hausherrn, mit der er zuvor eine Affäre hatte und die er soeben zum Weinen brachte: „Men like to see women cry. It makes them feel superior.“
Die Sekretärin verliert in der Folge den Wortkampf mit ihm (und später ihr Leben); dieser Satz bleibt im Raum stehen, ohne filmisch zurückgenommen oder durch ihre Gegenrede oder folgende Handlungen widerlegt zu werden.
Exemplarisch wird in „Gilda“ (1946) über die weibliche Hauptfigur und damit über Frauen im Allgemeinen gesprochen: Der mächtige Mann will seinem jungen Assistenten Johnny zeigen, was er von einer Reise mitgebracht hat. Johnny fragt: „Where’s the canary?“.
Der mächtige Mann ist überrascht, dass Johnny das schon weiß. Johnny ist irritiert, denn er meinte es als Spaß. Da löst der mächtige Mann die Verwirrung und das Wortspiel auf, indem er die Tür öffnet und sagt: „This is where the canary is“. Man hört eine Frauenstimme singen. Es ist die Tür zum Schlaf- und Ankleidezimmer seiner Frau.
Der mächtige Ehemann sagt: „Quite a surprise to hear a woman singing in my house“ (eine Anspielung darauf, das er homosexuell ist).
Im nächsten Moment wirft Rita Hayworth als Gilda schon ihre Haare durchs Bild. Sie – die Ehefrau – wird sprachlich mit einem Kanarienvogel (im goldenen Käfig) gleichgesetzt, der zur Unterhaltung seines Besitzer gefangen gehalten wird – eine Rolle, die sie im Laufe des Films tatsächlich erfüllt: Sie singt, sieht gut aus und darf keinen Schritt tun, ohne von Johnny im Auftrag ihres Ehemannes begleitet zu werden (wogegen sie jedoch rebelliert).
Immer wieder wird diese misogyne Darstellung der (Ehe)Frau in Dialogen wiederholt:
Ballin: “Women are funny little creatures, Johnny.”
Johnny: “Oh I don‘t know much about‘em.”
Ballin: “Odd things are important to them.”
Johnny: “Really?”
Ballin: “I bought her, Johnny. Just as I bought you.”
Andere Beispiele für die Darstellung der (Ehe)Frau als Besitz finden sich in „Night And The City“ (1950), als der ältere Ganove zum Nachwuchskriminellen sagt: „You got something that belongs to me – I payed for it“ und damit seine Ehefrau meint, die Geschäftspartnerin des Nachwuchskriminellen ist.
Oder in „Desert Fury“ (1947), wo die Aussage „I don‘t like wise dames“ stehen bleibt oder auch in „Lady In The Lake“ (1947), als Detektiv Marlowe zu einer Frau, die ihn mit der Pistole bedroht, sagt: „Why don‘t you just be beautiful“.
In „Kiss Me Deadly“ (1955) nennt der Antagonist kurz vor (seinem) Ende die Zuneigung seiner Geliebten „creature passion“ und transferiert damit die Theorie, dass Frauen der Natur näher stünden (weil sie die Kinder gebären und erziehen, weil sie so emotional und so wenig rational wären, während Männer die Kultur erschaffen hätten, weil sie Werkzeuge erfanden und damit die großen Leistungen der Menschheit vollbrachten) vom 18. ins 20. Jahrhundert.
Aussagen, die zum Ausdruck bringen, dass Männer diejenigen sind, die die Probleme lösen oder Frauen sagen, was sie tun sollen, sind ebenfalls an der Tagesordnung.
Als prototypisches Beispiel dafür steht im Film „Casablanca“ (1942) der Dialog zwischen Ingrid Bergmann (Ilsa) und Humphrey Bogart (Rick):
Ilsa zu Rick: „I don’t know what’s right any longer – you have to think for both of us – for all of us.“
Rick: „Allright, I will“.
Im Zuge dessen denkt er sich eine Lösung für sie beide aus (er schickt sie mit ihrem Ehemann in die Sicherheit der USA, während er selbst am Untergrundkampf gegen die Nazis wieder teilnimmt) – die ihr am Filmende nicht passt, doch er rechtfertigt das damit, dass er für alle gedacht habe und es so am besten sei. Ohne weiteren Widerspruch fügt sie sich dem.